Über Hoffnung und falsche Versprechen
Die Regisseur*innen Constantin Hochkeppel und Amelie von Godin im Gespräch mit den Dramaturginnen Caroline Rohmer und Lena Meyerhoff über die Tanz-Uraufführung „Am Ende“, die Schauspiel-Uraufführung „faulender Mond“ und das verbindende Prinzip Hoffnung.
Über „Am Ende“ steht das Schlagwort Hoffnung, über „faulender Mond“ Versprechen. Eure Inszenierungen beschäftigen sich also im Kern mit ähnlichen Themen. Wie werden sie konkret in euren Arbeiten aufgegriffen?
Amelie von Godin (AvG): Ich inszeniere die Uraufführung „faulender Mond“ der Autorin Anaïs Clerc. Anaïs und ich haben bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet, und durfte diesen Text in unterschiedlichen Stufen der Erarbeitung begleiten. Das Stück dreht sich um zwei Frauen, die gemeinsam in einer Fleischerei arbeiten und sich währenddessen gegenseitig erzählen, wie sie dort gelandet sind. Es sind zwei Figuren, die auf eine bessere Zukunft hoffen, und indem wir etwas über ihre Vergangenheit erfahren, können wir als Publikum besser verstehen, was ihre Sehnsüchte sind und was ihnen Hoffnung macht. Es gibt zum einen Antje. Sie ist spielsüchtig, hat deswegen ihren Job verloren und sehr viele Schulden gemacht, die sie jetzt ihr Leben lang abarbeiten muss. Sie ist aus prekären Verhältnissen weiter in die Armut abgerutscht. Sie hofft nun, dass der Spielautomat ihr irgendwann doch einmal den großen Gewinn ausschüttet und sie aus ihrer Lebenssituation befreit.
Zum anderen gibt es die namenlose Figur „Sie“, die ungeplant schwanger geworden ist, und mit dem ungeborenen Kind in ihrem Bauch aushandelt, wie es ihren Lebensweg beeinflussen würde, wenn es denn auf diese Welt käme. Beide Hauptfiguren verbindet trotz aller Unterschiedlichkeit und Konflikten ein Streben nach Glück.
Constantin Hochkeppel (CH): Für die Entwicklung des Tanzstücks „Am Ende“ begann meine Recherche nicht direkt mit dem Thema Hoffnung, sondern mit dem Gefühl von Leere und Überforderung. Das kam aus einer Beobachtung meiner subjektiven Reaktionen auf das, was in der Welt passiert. Ich finde aber, dass das etwas ganz Exemplarisches ist für meine und jüngere Generationen. Wir haben einen großen Zugriff auf alles, was in dieser Welt passiert, und ich merke an mir und anderen Menschen, dass wir Probleme haben, die Informationsflut und Krisen einzuordnen und damit umzugehen. Wie kann ich mich positionieren zu dem ganzen Leid, das hervorgerufen wird durch Kriege, die Klimakrise, Waldbrände und andere Umweltkatastrophen? Besonders in Bezug auf die Klimakrise können wir zwar individuell für uns selbst Konsequenzen ziehen, aber die großen Stellschrauben müssen an anderer Stelle gedreht werden. Und davon ausgehend habe ich mich gefragt, wie ich für dieses Gefühl der Ratlosigkeit und Überforderung einen Umgang finden kann. Und an dieser Stelle interessiert mich das Thema Hoffnung. Sie spielt eine große Rolle, wenn es darum geht, wie ich auf diese Welt und andere Menschen reagiere. Hoffnungslosigkeit ist kein konstruktiver und produktiver Umgang mit individuellen wie auch gesellschaftlich-globalen Problemen. Um es konkret auf das Stück zu beziehen: Wir zeigen eine Gesellschaft, die sich an tradierten und eingefahrenen Mustern orientiert, in der Bewegung und darauf basierend auch im Geiste. Damit kommt sie aber nicht mehr weiter und ihre Überforderung mündet zunächst in Chaos und schließlich dem Gefühl des Nichts. Was dann Hoffnung weckt, ist ein Perspektivwechsel, der die Menschen wieder zusammenkommen lässt.
Wir erzählen zwar keine individuellen Geschichten, aber wir sehen solistische Momente, in denen sich einzelne Menschen in einen Perspektivenwechsel begeben und sich aneinander abarbeiten. Aber am Ende geht es vorrangig um das Zusammenkommen in der Gesellschaft, um gemeinsam Bewegungen auszulösen für Probleme, die uns als Menschheit global betreffen.
Das Ende naht: Constantin Hochkeppel in den finalen Hauptproben zu „Am Ende“
AvG: Das Interessante bei „faulender Mond“ ist, dass die Probleme der Figuren Resultate sind aus aktuellen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Im Verlauf des Stücks erkennen sie auch, dass sie kein individuelles Schicksal ereilt hat, an dem sie allein Schuld haben. Im dritten Akt geht es dann darum, diese Probleme gesellschaftlich zu teilen und gemeinsam aufzubrechen. Es geht um die Selbstermächtigung der beiden Figuren, aus ihrem persönlichen Rahmen in die Welt hinauszutreten. Damit schlagen sie eine Brücke zu einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive.
In „Das Prinzip Hoffnung“ untersucht der Philosoph Ernst Bloch ab 1938, nachdem er ins US-amerikanische Exil emigriert war, wie sich Utopien für eine bessere Welt manifestieren. In der Hoffnung sieht Bloch „eine konkrete Utopie“, eine Triebkraft für die Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse, frei von Ausbeutung, Abhängigkeiten oder Demütigungen. Daraus ergeben sich reale Versprechungen und Möglichkeiten. Das Sich-etwas-Versprechen und Hoffen scheinen hier verschwistert zu sein, oder?
AG: Das Tragische liegt bei „faulender Mond“ darin, dass wir Figuren erleben, die, weil sie hoffen, auf falsche Versprechungen hineinfallen. Weil Antje hofft, aus ihrer extrem prekären finanziellen Situation herauszukommen, verfällt sie dem Versprechen des Spielautomaten, im Stück „Big-Moon-Joker“ genannt. Dort wo Hoffnung ist, ist auch ein gefährlicher Boden für falsche Versprechungen. Gleichzeitig braucht es vielleicht auch Versprechungen, damit unsere Hoffnung weiter befeuert wird und wir ins Handeln kommen. Es ist also ein zweischneidiges Schwert.
CH: Ich glaube auch, dass das Versprechen eine Konsolidierung der Hoffnung ist. Vielleicht nicht in Antjes Fall, wenn sie falschen Versprechungen verfällt, aber wenn man sich durch die Hoffnung verschwistert und gemeinsam mit anderen Herausforderungen angeht, dann konsolidiert man die Hoffnung in einem Versprechen: Wir schaffen das zusammen. Insofern kann ich die Verbindung gut sehen. Bei unserem Stück endet es im Zusammenkommen, das ein Versprechen ist, die Welt gemeinsam besser zu machen.
Ein Versprechen kann wohl deswegen leicht zum Verhängnis werden, da es sich auf etwas Konkretes bezieht, das einen sehr nachvollziehbaren Einfluss auf eine individuelle Lebensrealität haben kann. Die Hoffnung lebt eher davon, dass offenbleibt, welche Wege sich noch ergeben. Zudem speist sich Hoffnung nicht unbedingt aus dem Positiven, Bestärkenden, aus guten Nachrichten, sondern aus dem, was noch nicht gut ist und aus dem, was sich verändern müsste.
CH: Hoffnungen manifestieren sich in den Kämpfen, die wir noch zu führen haben. Einer der größten Kämpfe, auf die wir uns in „Am Ende“ beziehen, ist der globale Kampf in der Klimakrise. Der Kampf gegen die Veränderung des Klimas ist bereits verloren. Doch was wir noch tun können und müssen, ist die Eindämmung von Verlusten, und die Änderung unserer Lebensweisen, die Ungerechtigkeiten ausgleicht. Das geht nur, wenn wir zusammenkommen. Wenn uns Wahrheit zugemutet wird und nicht falsche Versprechungen gemacht werden wie „der Wohlstand kann so bleiben wie er ist“.
AvG: In Anaïs Clercs Stück und der Inszenierung geht es auch darum, von welchen Kräften die Hoffnungen von Menschen instrumentalisiert werden. Das ist bei uns zum Beispiel in Form einer politischen Partei der Fall, die Antje Versprechungen macht, die sie am Ende nicht hält. Es sind zudem die Hoffnungen an den Spielautomaten „Big-Moon-Joker“, der immer den großen Klassenaufstieg und ökonomischen Wohlstand verspricht und das nicht einhält. Beide Hauptfiguren haben den Wunsch nach einer Autorität, die etwas für sie regelt. Bei uns kommt auch ein spiritueller Aspekt hinzu, in Form des Mondes oder Zeitschriften mit Lebensweisheiten. Es gibt den Wunsch nach einer höheren Macht, die dafür sorgt, dass sich alles bessert. Und gerade, wenn es um große gesellschaftliche Veränderungen geht und die damit verbundenen Hoffnungen nicht aufrechterhalten werden können, kann es zu sehr gefährlicher Frustrationen kommen.
Blick in den Arbeitsraum: Amelie von Godin auf den Proben zu „faulender Mond“
In den ersten Proben für „faulender Mond“ habt ihr euch viel mit den negativen Seiten der Hoffnung beschäftigt. Der Figur Antje werden die Versprechungen des Glücksspiels zum Verhängnis, durch die sie in die Verschuldung rutscht. Kannst du den Teufelskreis beschreiben?
AvG: Tatsächlich gibt es zwei Perspektiven, aus denen man über Antje sprechen kann. Da ist der Begriff Hoffnung vielfältig aufgeladen, gesellschaftlich und auch persönlich. Andere Begriffe, die auf unserer ersten Probe oft fielen, waren die der Klasse und des Klassenkampfs. Es geht bei uns um zwei Figuren, die in der Momentaufnahme des Stücks eine prekäre Situation teilen, aber auf sehr unterschiedliche Weisen dort „gelandet“ sind. Antje ist eine Figur, die in ihrem Leben nie die Chance auf einen gesellschaftlichen Aufstieg durch Geld oder Bildung hatte. Antje ist hoffnungslos ausgeschlossen von gesellschaftlicher Teilhabe – weil sie zum einen nicht genügend finanzielle Mittel dafür hat, zum anderen keine Zeit und Kraft, nach all der Arbeit, die sie leisten muss. Auf politischem Weg gibt es für sie keine direkte Lösung. Der Spielautomat „Big-Moon-Joker“ verspricht ihr hingegen den schnellen Jackpot. Sie träumt davon, sich dadurch einen Urlaub in Spanien leisten zu können, an einer Promenade im Café zu sitzen, ein schönes Kleid zu tragen. Damit beschreibt sie ihren größten Wunsch. Weder Politik noch die Gesellschaft bieten ihr irgendeinen Hoffnungsstrang, an den sie sich halten kann. Der Spielautomat hingegen schon. Das Problem: Man muss ihn füttern, und zwar mit Geld. Als glücksspielsüchtige Person gerät Antje immer mehr in eine Spirale aus finanziellen Schwierigkeiten und der Hoffnung auf einen Gewinn, der ihre Probleme lösen würde. Das hält sie am Hebel. Das ist natürlich in der Symbolik des Glücksspiels eine Zuspitzung. Ich denke aber, dass auch ohne diese Suchtthematik die Erzählung von Reichtum und gesellschaftlichem Aufstieg ein Märchen ist, das so nicht eintreten kann.
Ernst Bloch beschreibt in seinem ersten Band von „Prinzip Hoffnung“ eine Gesellschaft, in der Menschen in einem Klassenalltag leben und sich vor allem wünschen, aufzusteigen und ihre eigenen Bedingungen zu verbessern. Bloch würde, paraphrasiert, von falschen Hoffnungen schreiben. Denn eigentlich müsste es darum gehen, die Klassenunterschiede abzuschaffen, nicht nur die eigenen Lebensbedingungen zu verbessern. Einer Figur wie Antje kann man auf einer systemischen Ebene gar keinen Vorwurf machen, da sie nicht in der Lage ist, etwas aus dieser Position heraus zu ändern. Und gleichzeitig müsste sie Teil der Bewegung sein und diese Verantwortung mitübernehmen, dann doch für die Veränderung des grundsätzlichen Systems mit einzustehen.
AvG: Der Stoff, mit dem wir arbeiten wird am Ende sehr märchenhaft, was auch ganz schön ist, da es unseren kindlichen Wunsch nach einem guten Ende auf eine Weise befriedigt. Es gibt am Ende den großen Aufbruch zum Mond, eine Art politische Bewegung, die sich aufmacht – mit allen Menschen, die sich anschließen wollen und allen „Tieren und Nutztieren“, wie es im Text heißt. Sogar die Tiere, die bereits geschlachtet wurden, werden wieder zusammengesetzt und steigen zum Mond hinauf. Was ich daran so ehrlich finde, ist die Tatsache, dass wir nun einmal nicht wissen, was kommt. Und hier lässt sich auch eine Brücke schlagen zu Constantins Stoff: Es wird Veränderung bedeuten, Dinge aufzugeben und in die Ungewissheit zu gehen. Und dort wartet vielleicht nicht nur die Utopie, sondern neue Ängste, Probleme und Fragen. Und in dieser Hinsicht bleibt man auch am Ende ungewiss. Obwohl unsere Figuren die große Bewegung, fast so etwas wie einen Arbeiter*innenaufstand beginnen und sie alle zum Mond aufbrechen, fragt man sich dort: Und jetzt? Was passiert dann? Ich weiß nicht, Constantin, wie es dir da ging in der Erarbeitung, aber man merkt dann auch als künstlerisches Team, dass wir keine Erzählung vorzuweisen haben, die den Weg in die utopische, heile Welt zeigt.
CH: Bei uns ist das vielleicht nicht so ausdifferenziert in der Erzählung der Geschichte. Aber das war auch die ganze Zeit mein Gedanke. Was möchte ich eigentlich damit bewirken, dass ich dieses Thema behandle? Möchte ich Lösungen aufzeigen? Aber mit der Behauptung, Lösungen anbieten zu können, würde ich mich in Hybris über andere stellen. Aber man kann den Umgang mit einem Problem zeigen. Man kann einen persönlichen Umgang zeigen, vielleicht einen Vorschlag machen in der Frage, wie ein Zugriff auf den Umgang mit den Problemen sein kann, denen sich die Menschen in unseren Geschichten gegenübergestellt sehen.
In „faulender Mond“ bleiben die Figuren des „ungeborenen Kindes“ und „Big-Moon-Joker“ nicht nur Projektionsflächen, sondern sie konfrontieren Antje und „Sie“ auch mit ihrer Leichtgläubigkeit. Amelie, wie schaust du auf diese Szenen?
AvG: „Antje“ und „Sie“ erzählen in dem Stück ihre eigene Geschichte, in der sie ihre Hoffnungskörper und Gegenspieler erschaffen. Sie wollen sich damit vor anderen und dem Publikum rechtfertigen, versuchen, sich verständlich zu machen und ihren Leidensdruck mitzuteilen. Es geht auch um die eigene Scham. Die antagonistischen Figuren „Big-Moon-Joker“ und das „ungeborene Kind“ haben in der Nacherzählung auch die Position, zu konfrontieren und in die Schranken zu weisen. Das Interessante bei den beiden Figuren ist, dass sie ganz viele Dinge sagen, die wir als Publikum auch denken und den beiden Frauen als Fragen stellen würden.
Mit dem „Big-Moon-Joker“ unterm Mondlicht: „faulender Mond“, Foto: Christian Schuller
Uns allen ist bewusst, dass die persönlichen Idealvorstellungen darüber, was ein gutes Leben ist – das auch andere mit einbindet – Strukturen erfordert, die man nicht alleine denken kann. Diese weitreichende Verantwortung führt zu Überforderung, und zu der Erkenntnis, dass es nur etwas Gemeinschaftliches sein kann, das auch niemals feststehend ist. Das heißt, Versprechen sind konkrete Zuspitzungen der Hoffnung, aber die Basis, aus der sie erwächst, ist erstmal, dass man nicht aufhört überhaupt daran zu glauben, dass sich noch etwas verändern kann. Und dass wir den Raum für Verhandlungen öffnen können, die einen Status quo hinterfragen.
CH: Ja, und es wird ein Kampf bleiben, dabei die Hoffnung zu bewahren, und sich dabei gegenseitig weiterhin zu versprechen zusammenzubleiben und gemeinsam zu kämpfen. Und da sind Ernst Blochs Gedanken umso wichtiger. Die Hoffnung ist ein grundlegend positives Gefühl, das sich der Zukunft zuwendet, für die man eben nicht den Kopf in den Sand steckt und sagt, es ist sowieso alles verloren, sondern wir haben immer noch die Möglichkeit, das zu einem Grad zu wenden, das uns vielleicht nicht tötet.
In „Am Ende“ werden die Themen Klimakatastrophe und Naturkatastrophen sehr eindeutig aufgegriffen, z.B. auf der Videoebene, in der wir sich wandelnde Landschaften und brennende Wälder sehen. Von der Klimaaktivistin Greta Thunberg gibt es den berühmten Satz, den sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gesagt hat: „Ich will eure Hoffnung nicht. Ich möchte nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich möchte, dass ihr in Panik geratet.“ Damit steht der Vorwurf im Raum, dass man sich durch die Hoffnung aus der Verantwortung ziehen kann. Lässt uns Hoffnung zu zuversichtlich und passiv werden?
CH: Darüber haben wir viel gesprochen in der Probenzeit. Im Prinzip geht es ja darum, dass Panik etwas Aktivierendes ist, an die Substanz geht, und mich dazu antreibt, wenigsten meinen eigenen Hintern zu retten, was wiederum auch politische Entscheidungen beeinflussen und Konsequenzen haben kann. Wir haben häufig über diese falschen Hoffnungen gesprochen, so wie wir gerade auch über falsche Versprechen geredet haben. Ein Satz wie: „Es wird alles gut.“ macht nur vordergründig Hoffnung, weil gerade globale Probleme wie die Klimakrise viel differenzierter betrachtet werden müssen. Wenn ich als einzelne Person Hoffnung habe, gebe ich vielleicht Verantwortung ab. Wenn ich Panik habe, dann möchte ich selbst aktiv werden, und was ändern.
Doch wenn ein Mensch Panik hat, dann kann er nicht denken, sondern nur reagieren. Wenn eine Gesellschaft Hoffnung hat, dann ist sie zumindest bereit, mutig zu sein.
CH: Ich glaube, dass die Gemeinschaft immer eine Rolle spielt, dass sie politische Lösungen finden muss. Und darüber habe ich die Hoffnung am Ende noch nicht ganz verloren.
AvG: Die Klimakrise ist auf einer ganz anderen Ebene global wirkmächtig. Da erscheint die Natur wie ein Gegenspieler zur Menschheit. Im Zuge meiner Arbeit an „faulender Mond“ habe ich mich viel mit innergesellschaftlichen Umschwüngen beschäftigt. In diesem Kontext würde ich zu dem Zitat sagen, dass ich mir wünsche, dass unten die Hoffnung herrscht und oben die Panik. Greta Thunberg hat den Satz ja auch an eine bestimmte „Klasse“ gerichtet, an ein bestimmtes Publikum. Menschen wie Antje, die jeden Tag unter einem enormen ökonomischen Druck leben müssen, wünsche ich dagegen nicht die Panik, die spüren sie bereits jeden Tag. Für diese Menschen wünsche ich mir, dass wir sagen können, es gibt eine kollektive Hoffnung, und diese Hoffnung kann ein Antrieb sein zu kämpfen. Einen politischen Kampf dafür, dass sich Lebensumstände und politische Umstände ändern. Und davor sollen mal schön die anderen Panik haben.
Natürlich aktiviert es einen direkter, wenn es um das eigene Überlegen geht, im Gegensatz zu einer Hoffnung, die sich auf größere abstraktere Ebenen und Strukturen bezieht. Es ist auch schwerer, Empathie für zukünftige Generationen zu empfinden, für Enkel, die noch nicht einmal geboren sind, als beispielsweise für das Unrecht und die Kämpfe von Angehörigen und Vorfahren, die einem bekannt sind und näherstehen.
AvG: Das ist ein interessanter Punkt, denn in „faulender Mond“ steht die Rolle „Das ungeborene Kind“ figurativ für eine zukünftige Generation. Ich genieße es sehr mit dem Ensemble herauszufinden, aus welcher Perspektive dieses ungeborene Kind eigentlich Forderungen stellt; Forderungen an die Mutter, und – am Ende des Abends – auch an uns, das Publikum, an die heutige Gesellschaft und an alle Figuren im Stück. Ich liebe es an unserer Kunstform, am Theater, das wir sowas auf der Bühne tun können.
Das bringt uns zu einer etwas plakativeren Frage: „Am Ende“ ist ein Tanz x Physical Theatre – Abend, „faulender Mond“ ein Schauspiel. Das eine ist körperlich und das andere ist auf Textbasis. In dem Tanzabend gibt es für Constantins Verhältnisse dieses Mal vergleichsweise wenig Text. Gerade wenn es konkret um Hoffnung geht – und du bearbeitest in einer Szene das Überspringen eines Hoffnungsfunkens – wird es körperlich gelöst. In den Szenen, in denen gesprochen wird, manifestiert sich eher die Wahrnehmung, dass man etwas nicht mehr beschreiben kann, oder dass man die eigene Stellung in der Welt hinterfragt und nicht mehr findet. Kannst du beschreiben, wie deine choreografische Herangehensweise an die Übersetzung dieses Themas aussieht?
CH: Wir haben drei Stadien: Den Status Quo der Überforderung, dann die Leere und Absurdität des Lebens, und dann die Hoffnung. Dazu habe ich jeweils erstmal assoziativ gearbeitet. Ich habe mich also gefragt, was ist ein Status Quo im Tanz. Davon ausgehend kam ich auf die Frage nach Traditionen, an denen wir uns festhalten können. Im europäischen Tanz ist es das Ballett, das im Barock maßgeblich etabliert und weiterentwickelt wurde. So entstand eine Verbindung in diese Zeitepoche, die wir auch musikalisch mit Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“ von 1725 in einer Rekomposition von Max Richter aus dem Jahr 2012 aufgreifen. Die Gesellschaft, die wir also auf der Bühne zunächst porträtieren, lebt in dieser Barock-Epoche, aber mit einem zeitgenössischen Twist unseres Blicks darauf. Um den Zerfall der Gesellschaft anhand des klassischen Tanzes zu zeigen, gehen wir von einer Ballettchoreografie aus, die wir fragmentieren. Und dann gibt es diesen Moment der Leere, wie ein endloser Kreislauf, der ganz schwer zu durchbrechen ist. Ich habe mich gefragt, was ich mir eigentlich wünsche von der Gesellschaft, von den Menschen, mit denen ich mich umgebe. Und es ist die Hoffnung, dass sie mich auffangen, wenn ich falle. In dieser Leere aber werde ich nicht aufgefangen. Das ist das körperliche Thema dieser konzeptionellen Idee im weiteren Verlauf des Abends: Es wird endlos gefallen und wieder aufgestanden und gefallen. Bis irgendwann dann aufgefangen und gehalten wird. Und aus dem Versuch aufzufangen und sich hoffnungsvoll fallenzulassen, auch aus großer Höhe, in die Arme der anderen, entsteht ein Gefühl für Gemeinschaft.
Schließlich habe ich mich choreografisch noch von dem Ursprung des Wortes Hoffnung inspirieren lassen, was von hüpfen oder springen kommt, und daraus entstand der Gedanke des Funkens, der entzündet wird, und die Tänzer*innen bewegt und damit von einem Körper auf den anderen ausbreitet. Sie kommen zusammen in einer energetischen und kraftvollen Choreografie, in der sie Bewegungen gemeinsam teilen.
Amelie, wie findest du eine theatrale Übersetzung des Textes von Anaïs Clerc?
AvG: Constantin und ich kennen uns ja aus dem Studiengang Physical Theatre an der Folkwang Universität Essen. Ich habe seitdem für Sprechtheater gearbeitet, aber empfinde interessanterweise gar keinen so großen Unterschied zwischen den beiden Formen. Genauso wie Bewegung Handlung ist, ist auch der Sprechakt Handlung. In der Sprache liegt so viel mehr verborgen als nur der Sinn der Worte. Die Autorin Anaïs Clerc hat meiner Meinung nach ein großes Talent dafür, zwischen den Zeilen zu erzählen. Das Schweigen, das Kommentieren, das Einander-aktiv-zuhören oder Aktiv-nicht-zuhören findet in ihren Texten sehr präsent statt. Wir befinden uns in „faulender Mond“ in der Küche eines Wurstsonderpostenmarkts. Die beiden Hauptfiguren erzählen sich ihre Geschichten, während sie schwere körperliche Arbeit leisten, Fleisch häckseln und Schweineköpfe zerschneiden. Diese körperliche Tätigkeit müssen wir künstlerisch übersetzen und wir fragen uns dabei, wie wir auch diese physische Tätigkeit als Dialogform begreifen können
Was erwartet uns visuell in euren Arbeiten?
AvG: Die erste Assoziation von der Bühnen- und Kostümbildnerin Kristin Buddenberg und mir waren sogenannte „Infinity-Treppen“, Stufen, die eigentlich unmöglich und surreal sind und in die Unendlichkeit führen. In dem Stück geht es ja auch um den unmöglichen Aufstieg aus einer prekären Lebenssituation. Wir sahen den Arbeitsort der Frauen immer in einem Keller, und durch ein Kellerloch schaut man hinauf zum Mond. Wir haben schließlich eine Fleischerei gebaut, die Arbeitsfläche und Spielort ist und haben oben an der Wand einen sogenannten Infinity-Spiegel hängen, einen doppelten Spiegel in dem Licht verarbeitet ist. Wenn man dieses anschaltet, entsteht ein Lichtspiel, das uns vortäuscht, in die Unendlichkeit zu schauen. Ein Objekt also, das sowohl ein unendlicher Tunnel werden kann, als auch eine Reflexionsfläche, über die die Spielenden über Bande das Publikum sehen und anspielen können.
CH: Auch wir haben einen Spiegel sowie einen großen Lichtring. Ansonsten ist die Bühne in „Am Ende“ leer. Meine erste Assoziation mit dem Thema Hoffnung war der Wald, Natur. Abseits von Nachrichten, von Menschen, von Stadt, kann ich mich auftanken und Hoffnung für das Leben spüren. Mein Ausstatter*innenteam, Esther-Helin Bienroth und Raphael Jacobs, haben mir dann einen im Durchmesser zwei Meter großen, runden Spiegel vorgeschlagen. Er kann als Teich oder große Pfütze auf der Waldlichtung bespielt werden oder bekommt zusammen mit dem Lichtring etwas Planetenhaftes, als würden wir in den Kosmos schauen. Die Bühne ist also sehr reduziert, aber assoziationsreich. Es aktiviert mich als Publikum auch, weil ich so viel reinlesen kann. Und diesen Spiegel nutzen wir natürlich auch, um uns selbst zu reflektieren, um Perspektiven zu wechseln in der Reflektion, und dabei zu verstehen, wie sehr wir mit anderen Menschen und Spezies verbunden sind. Kein Infinity-Mirror, aber ein fliegender Mirror.
Himmelskörper und Gräben in „Am Ende“, Foto: DeDa-Productions
Könnt ihr jeweils eine entscheidende Szene aus eurem Stück beschreiben, in der sich ein entscheidender Moment für die Figuren bzw. die Erzählung kristallisiert?
AvG: „faulender Mond“ ist wirklich ein Geschenk von einer Autorin an das Theater. Der Text ist voller Perlen, aber es gibt definitiv einen Höhepunkt, wenn beide Hauptfiguren zum Mond aufbrechen, und diesen Moment des Aufbruchs zelebrieren. Der Text ist in diesem Moment virtuos, lustig, er macht Spaß.
CH: Neben der Musik des Streichorchesters, die allein schon unter die Haut geht, freue ich mich sehr über eine Szene, in der wir einen Albtraum im Wald erleben. Unsere Figur des Försters, der den Wald betreut, kommt damit in eine Situation, in der er sich plötzlich einer mythischen, gefährlichen, gar feindlich gesinnten Natur, die ein Eigenleben hat, gegenübergestellt sieht. Diese Szene ist sehr bildreich, atmosphärisch und dynamisch.
Und dann ist für mich natürlich ein klarer Höhepunkt das Zusammenkommen der Tänzer*innen in den Gruppenchoreografien, in denen sie sich gegenseitigen halten und tragen und wie sie sich später mit Energie anstecken, ihre Energie teilen, und nach außen werfen.
Wie soll das Publikum aus euren Abenden entlassen werden? Beide Stücke haben ja erstmal ernüchternd klingende Titel.
AG: Auch wenn der Titel „faulender Mond“ sehr düster klingt, kann ich versprechen, dass die Inszenierung viel Lebendigkeit und Humor ausstrahlt.
Ist das ein falsches Versprechen?
AvG: (lacht) Ich hoffe, dass die Menschen mit sehr viel Liebe, Verständnis und Empathie für die Figuren und das, wofür sie stehen, aus diesem Abend gehen. Die Figuren sollen eine Inspiration sein, sich, im kleinsten Sinne, für die Welt und andere Menschen, andere Lebensumstände zu öffnen und in den Dialog zu treten. Dazu soll das Stück eine Einladung sein.
CH: Ich möchte, dass das Publikum das Theater energetisiert verlässt. Ich möchte, dass die Gemeinschaft, die auf der Bühne zelebriert wird, Inspiration ist, um die Augen zu öffnen, um sich zu vernetzen mit anderen, die auch einen Austausch suchen. Der Titel ist für mich insofern zweideutig, dass am Anfang des Stücks die Menschheit an ihr Ende angekommen zu sein scheint, und das am Ende – also letztendlich – die Hoffnung bleibt. Bleiben muss.
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