Ferdinand Keller im Gespräch und auf der Bühne

Der Tenor Ferdinand Keller begeisterte das Gießener Publikum im Sommer mit der Hauptrolle in Benjamin Brittens „Curlew River“. Jetzt ist er in drei sehr unterschiedlichen Partien im Stadttheater zu erleben. Ann-Christine Mecke hat mit dem jungen Sänger über seine Aufgaben und ein Musiktheater für die Gegenwart gesprochen.


Du hast in Berlin 2018 ein freies Operetten-Kollektiv gegründet: tutti d*amore – und bist bis heute dort aktiv. Wie kam es dazu?

Ferdinand Keller: Ich denke, dass die Operette nach wie vor ein gutes Medium ist, um Menschen für das Musiktheater zu begeistern: Es gibt eingängige Melodien, Charaktere, mit denen man sich gut identifizieren kann und alltagsnahe Geschichten. Man muss sich aber klarmachen, dass das Genre Musiktheater heute nicht mehr selbstverständlich ist. Unsere Gesellschaft ist sehr bildgeprägt und von Medien, wie Netflix, bestimmt. Wir haben uns gefragt: Wie kann Live-Musiktheater dort eine Nische finden? Wo bewegen sich die Menschen, die wir erreichen möchten? Wir selbst sind in der Club-Kultur Berlins unterwegs, und so kam die Idee, Operette in zeitgemäßer Form an diese Orte zu bringen. Inzwischen spielen wir nicht nur in Clubs, sondern auf ganz verschiedenen freien Bühnen und bekommen auch Aufträge von Opernhäusern. Zum Beispiel werden wir ab Februar 25 unsere Version von „Die lustigen Nibelungen“ in der Tischlerei der Deutschen Oper präsentieren.

Dabei thematisieren wir immer Aspekte, die uns heute beschäftigen wie Machtmissbrauch oder Gentrifizierung. Die Aufführungen sind manchmal schrill und bunt, aber es ist immer auch eine Gratwanderung, denn es geht nicht darum, die Kunst zu verflachen oder immer alles „niedrigschwellig“ zu machen. Das Spielerische, Humorvolle daran macht mir große Freude. Daneben brenne ich aber durchaus auch für die Große Oper, es muss nicht immer Operette sein!

In deinen vier Gießener Partien zeigst du dich von ganz unterschiedlichen Seiten. Kannst du die sängerischen Herausforderungen beschreiben, die damit verbunden sind?

Die Madwoman [aus Benjamin Brittens „Curlew River“] ist mir sehr ans Herz gewachsen, weil ich mit ihr so viel Zeit verbracht habe. Im Rahmen der Koproduktion mit dem Theater Aachen habe ich die Rolle an zwei Orten geprobt und gesungen. Es ist eine auch psychisch sehr fordernde Partie, weil ich mit ihr durch extreme Emotionen musste.

In „Ich, ich ich!“ ist toll, dass meine komische Seite so gefordert wird. Die Musik ist sehr anspruchsvoll, und insgesamt spiele ich acht unterschiedliche Rollen! Als Triquet [aus Pjotr Tschaikowskis „Eugen Onegin“] kann ich dagegen meine lyrischen Qualitäten zelebrieren. Er ist zwar eine komische Figur, singt aber sehr klangvoll und feinsinnig. Da braucht man mehr Ruhe im Atem und im Körper.

Und Matteo [aus Richard Strauss' „Arabella“] ist sängerisch wieder eine ganz andere Aufgabe, er singt eher dramatisch, auch wenn er noch jung ist.

Erzähl uns mehr von „Ich, ich, ich!“ – was für Figuren spielst du da?

Es sind sieben Charaktere und ein Prolog, in dem ich etwas neutraler bin. Die Musik ist für die einzelnen Charaktere sehr unterschiedlich. Ich brauche verschiedene Klangfarben, um die Eigenheiten der Figuren zu zeigen: Da gibt es zum Beispiel den Bestatter, das ist ein zwielichtiger Charaktertyp, oder den Promi-Künstler, der sehr viel zu sagen hat, das heißt: Ich muss sehr viel Text in kurzer Zeit wiedergeben. Der Liftboy dagegen ist im Kopf sehr langsam, er ist mit seinem sehr langsamen Aufzug verwachsen. Dabei singt er schon schnelle Passagen, aber dazwischen vergeht immer Zeit, in der der Groschen fallen muss. Er ist sehr aufmerksam und beobachtet genau, wer in dem Haus zu welcher Zeit Besuch bekommt. Später spiele ich eine Frau, die Mimi. Ihre Musik ist verwandt mit der des Liftboys, und der Liftboy hat auch einige Informationen, die er nur von Mimi haben kann. Ich stelle mir daher vor, dass ich der Liftboy in Verkleidung bin. Später spiele ich dann einen Psychiater, den ich mir etwas älter vorstelle, er singt daher auch etwas gravitätischer.

Ist „Ich, ich ich!“ so ein heutiges Stück Musiktheater, das Menschen neu für diese Kunstgattung begeistern könnte?

Das denke ich auf jeden Fall! Vielleicht ist es sogar eine zeitgenössische Operette, auf jeden Fall eine komische Oper mit Eigenschaften einer Operette. Es ist ein sehr unterhaltsames Stück, gesellschaftlich relevant und kritisch, mit vielen komischen und überzeichneten Figuren. Die Musik ist reich an Zitaten aus der Musikgeschichte. Aber nicht nur Kenner*innen werden sich an der Musik erfreuen, die transparent, rhythmisch, lebendig und witzig ist. Außerdem ist der Abend nicht so lang und sehr kurzweilig. Für Menschen, die noch nicht so viel Opernerfahrung haben, ist „Ich, ich ich!“ vielleicht genau das richtige Stück.


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