Stimmen Farbe geben

Zum Gespräch über „Rigoletto“ trafen sich Annika Gerhards (Gilda), Grga Peroš (Rigoletto) und Michael Ha (Herzog von Mantua) mit Dramaturg Christian Förnzler bei einem Gießener Italiener. Bei Bruschetta, Espresso und Pistazieneis sprachen sie über die Herausforderungen bei der Erarbeitung der bekanntesten Opernpartien im italienischen Repertoire und darüber, was für sie die Besonderheiten ihrer Figuren und der Gießener Neuinszenierung ausmachen.


CHRISTIAN FÖRNZLER Bei „Rigoletto“ haben wir es mit einer der bekanntesten Repertoireopern überhaupt zu tun. Die Canzone des Herzogs „La donna è mobile“ kennen selbst Menschen, die noch nie in der Oper waren. Für dich, Annika, und dich, Grga, sind es Rollendebüts. Wie geht ihr drei bei der Erarbeitung solcher Partien vor? Blendet man aus, was andere bisher sängerisch interpretiert haben?

GRGA PEROŠ Ein Stück zu erarbeiten, welches jede und jeder kennt, ist natürlich besonders schwierig. Man muss ein gewisses Level erreichen, um auf der Bühne überzeugen zu können. Jeder hat eine bestimmte (Klang-)Vorstellung davon. Viele Menschen kennen dieses Stück von hunderten von Aufnahmen. Bei der Erarbeitung helfen mir diese aber häufig. Ich nutze Aufnahmen natürlich nicht zum Nachmachen anderer stimmlicher Interpretationen, sondern weil ich gerne die Schwierigkeiten der Partie auf den Aufnahmen hören möchte. Rigoletto hat auf der einen Seite sehr lyrische, auf der anderen Seite sehr dramatische Passagen zu singen. Ich bin weder der erste noch der letzte Bariton, der diese Partie singen wird. Und es gibt großartige Sänger, die das fabelhaft gemacht haben. Sie zu Rate zu ziehen, ist meiner Meinung nach nicht verkehrt. Dadurch finde ich dann auch meinen eigenen Ausdruck, meine Art und Weise diese Partie zu gestalten und hoffe, dass ich das gut auf der Bühne vermitteln kann.

ANNIKA GERHARDS Ich habe mir verboten Aufnahmen anzuhören. Bei unbekannten Werken genieße ich es sehr, wenn es keine Aufnahmen gibt, weil man keine Vergleichsmöglichkeiten hat. Ich möchte mich auch nicht in „Traditionen“ einhören. Da schicke ich dann lieber meinen Mann vor, der das für mich macht, mir davon berichtet und Empfehlungen ausspricht, was ich ausprobieren könnte. Mich blockiert das ansonsten schnell in meiner eigenen Interpretation.

MICHAEL HA Ich bin ein wahnsinniger Fan von Aufnahmen und höre mir auch sehr viel an. Die Partie des Herzogs ist für mich fast ein wenig mörderisch. Wenn ein Tenor den Herzog von Mantua und Edgardo aus Donizettis „Lucia di Lammermoor“ singen kann, dann kann er meiner Meinung nach Karriere machen. Die Sänger*innen, die ich höre, sind natürlich alle verdammt gut und gerne würde ich sie nachmachen können …

GP … aber es gelingt dir nicht? (lacht)

MH Das geht einfach nicht! (lacht) Deshalb bin ich jeden Tag neidisch auf Sänger, bei denen der Herzog ganz einfach zu singen klingt. Dabei sind alle drei Partien jeweils riesige Herausforderungen und stimmlich fordernd.

CF Musikalisch werden von Verdi in „Rigoletto“ ganz unterschiedliche Welten gezeichnet. Ich denke zum Beispiel an die Szene, wenn Rigoletto nachhause kommt. Gerade noch reflektiert er im dunklen Tonfall sein eigenes Dasein, und auf einmal tut sich im Orchester eine „Lichtwelt“ auf, eine Flöte wird hörbar, weil er von Gilda spricht und nachhause kommt.

GP Es ist auch stimmlich fordernd, zwischen mysteriösen, dunklen Farben und dieser „Lichtwelt“, die du beschreibst, hin- und herzuwechseln. Man hat im Prinzip keine Sekunde Zeit, um seine „Stimme für Zuhause“ zu finden. Auf einmal ist man nicht mehr Rigoletto, sondern der Vater. Egal wie alt oder erfahren man ist: Das ist nicht einfach.

MH Für einen Bariton ist das ein sehr wichtiger Punkt. Viele singen das sehr eindimensional. Dieses Stück von vorne bis hinten stimmlich durchzuhalten ist sehr schwer. Wenn man aber denkt wie Grga, der die Klangfarben ändert, ist das nochmal eine ganz andere Herausforderung.

GP Ich versuche es zumindest! (lacht) Ob es mir gelungen ist, muss das Publikum entscheiden.

MH Die stimmliche Lage des Herzogs hingegen ist so hoch, da ist es besonders schwierig, wenn man Farben ändern oder mit Lautstärken spielen möchte. Wenn man diese Lage singt, braucht man eine gewisse Kraft, einen gewissen Druck oder Spannung. Das hängt natürlich auch sehr mit der körperlichen Verfassung zusammen, in der man sich jeden Tag befindet. Wenn wir um 10 Uhr Probe haben, wache ich um 6 Uhr auf, frühstücke und brauche dann die übrige Zeit, um körperlich vorbereitet zu sein.

GP Was? Ich bin heute um 9:30 Uhr aufgestanden …

MH Du bist aber auch ein Bariton! Für mich geht das nicht.

CF Auf der Bühne wird eine Drei-Klassen-Gesellschaft gezeigt. Du als Herzog wandelst von einer Welt in die andere. Macht sich das auch stimmlich bemerkbar?

MH Mit Rigoletto kommuniziert der Herzog sehr alltäglich, der „Alltags-Herzog“, manchmal kippt es fast schon ein wenig ins Aggressive. Rigoletto kennt den Herzog vermutlich schon seit seiner Geburt und arbeitet schon sehr lange für ihn – auch wenn ihm dieser Job mittlerweile keinen Spaß mehr macht. Mit Gilda hingegen kommuniziert er sehr ernst und ehrlich …

CF … obwohl er sie bei der Frage nach seinem Namen belügt und sich als Gualtier Maldè ausgibt?

MH In meinen Augen tut er das viel mehr, um sich spielerisch Gilda anzupassen, wo sie ja explizit äußert, sie möchte keinen reichen oder mächtigen Partner.

AG Ich empfinde das auch gar nicht als Lüge – obwohl die Worte „Gualtier Maldè“ nicht besonders leicht sängerisch zu artikulieren sind. (lacht) Viel spannender ist für mich die Tatsache, dass, obwohl Gilda sich für ihren Vater und gegen die Liebe zum Herzog entscheidet, Rigoletto diese ganze Geschichte immer wieder auf den Tisch bringt und Gilda im dritten Akt in die Welt des buchstäblichen Lumpenproletariats führt.

MH Sicher hat der Herzog mit einigen Frauen vor Gilda geschlafen. Aber mit ihr verbindet er erstmals das Gefühl von Liebe, oder zumindest eine neue Qualität von Liebe. Daher ist er mit ihr wirklich ganz aufrichtig und ehrlich, was man auch hören kann.

CF An der Figur des Herzogs ist ja besonders interessant, dass er eigentlich ein sehr konfliktscheuer, fast schon apolitischer Herrscher ist. Aber dafür ist seine Art zu Lieben umso politischer und knüpft an viele Diskurse unserer Zeit an. „Nur wer will, soll treu bleiben. Es gibt keine Liebe ohne Freiheit“, äußert er als Manifest seiner Hofgesellschaft. Das berührt zeitlose Fragen: Wie sehr wollen wir uns an eine*n Partner*in binden? Was bedeutet Familie oder was gar Ehe? Kann man nur einen einzelnen Menschen lieben und wenn nicht, wie sieht eine angemessene Form der Partner*innenschaft dann aus?

AG Partner*innenschaft verbinden viele auch mit der Zugehörigkeit zu einer Person. Gilda weiß gar nicht, wo oder zu wem sie gehört. Sie ist so jung und findet natürlich dann auch spannend, in welcher Welt sie im zweien Akt landet, in der Welt des Höfischen und des Reichtums.

CF Du, Grga, hast von den musikalischen Wechseln von lyrisch und dramatisch gesprochen. Das findet sich in ähnlicher Weise auch auf einer inhaltlichen Ebene: Victor Hugo, der die Vorlage zu „Rigoletto“ geschrieben hat, nannte das Erhaben und Grotesk. Auch in der Beziehung zwischen dem Vater Rigoletto und der Tochter Gilda findet man sehr viel Groteskes.

AG Was ich sehr bemerkenswert finde, ist, dass Rigoletto eigentlich immer nur von sich selbst spricht. Er spricht immer davon, was die ganzen Geschehnisse, in die seine Tochter verwickelt ist, mit ihm machen. An seine Tochter denkt er im eigentlichen Sinne gar nicht. Darin steckt auch die Zeit der Entstehung von „Rigoletto“, das 19. Jahrhundert, die in unserer Inszenierung auch klar erkennbar wird.

GP Er ist ein absoluter Manipulator. Er versteckt sich dabei auch nicht. Er tut das ganz offen. Seine letzte Manipulation ist: „Non morire o ch’io teco morrò! – Stirb nicht, oder ich sterbe mit dir!“

AG Das ist Extrem! Am Anfang der Probenphase bestanden unsere szenischen Versuche darin, dass sich Vater und Tochter gar nicht berühren. Da sind wir wieder weit von weggekommen, um auch einfach diese physische Repression, unter der Gilda leidet, darzustellen.

GP Rigoletto enthält Gilda ja auch die essenziellsten Informationen, wie seinen eigenen Namen vor. Das ist auch grotesk.

AG Als Sopranistin braucht man für Gilda im Grunde zwei Stimmen. Wenn sie alleine ist, ist sie mehr wie ein „Vögelchen“, das in hoher Tonlage „tirilliert“. In den Duetten mit Rigoletto oder dem Herzog ist sie viel erdiger. Da benötigt man viel Dramatik und viel Kraft. Der dritte Akt ist dann im Grunde eine völlig andere Stimme: Da geht es dann vollends in eine sehr dramatische Richtung und die Lage ist recht tief. Nur ganz am Ende kehrt sie noch einmal zurück in ihre stimmliche Welt alleine.

CF Das Ende halte ich ja sowieso für so artifiziell, das ist fern ab jeder Realität. Gilda wurde gerade erstochen und mit letzter Kraft muss sie nochmal hinaufsingen bis zu einem der Spitzentöne der ganzen Partie.

AG Und dann schreibt Verdi an der Stelle auch noch Pianissimo, also muss man es so leise wie möglich singen.


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