Schluss mit den Ängsten

Als Strömung in der Darstellenden Kunst zielt die Schauerromantik darauf, Schönheit aus dem Leid unschuldiger Opfer zu ziehen – die weiblichen Figuren sind passiv, bedrängt, gequält, oft am Rande des Wahnsinns. Nicht so Caterina Cornaro, Protagonistin der gleichnamigen Oper von Gaetano Donizetti. Sie reißt sich zusammen. Eine Analyse von Ann-Christine Mecke.


Eine für das 19. Jahrhundert erstaunliche Szene steht im Zentrum von „Caterina Cornaro“: König Lusignano lässt – anscheinend im vollen Bewusstsein der Situation – seine Frau Caterina mit ihrem ehemaligen Geliebten Gerardo allein. Gerardo ist nach der Trennung von Caterina dem Johanniterorden beigetreten, er ist also ein Geistlicher geworden. Und so gestehen ein Kreuzritter und eine verheiratete Königin einander auf offener Bühne ihre Liebe, während der rechtmäßige Ehemann sich dezent zurückgezogen hat. Dieses auch musikalisch herausragende Duett ist, wie die Regisseurin Anna Drescher anmerkt, die Aussprache eines erwachsenen, gereiften Paars, ganz anders als zu Beginn der Oper, wo man die beiden als schwärmerisches Teenie-Pärchen erleben konnte.

Ebenfalls ungewöhnlich ist der Schluss der Oper: Nach allem, was Caterina im Laufe der Handlung durchgemacht hat, hätte sie allen Grund, nach dem Tod ihres Ehemanns und dem seltsam knappen Abschied ihres Geliebten zusammenzubrechen oder – ein beliebtes Stilmittel der italienischen Oper dieser Zeit – vor Schmerz wahnsinnig zu werden. „Es sind die Qualen einer Frau als Opfer, die das pervertierte Herz der Schauerromantik anregen“, charakterisiert der englische Literaturwissenschaftler Robert Scholes die italienischen Opern dieser Zeit. „Und oft sind natürlich die musikalisch interessantesten Stellen solcher Opern mit diesen Qualen verbunden. Die Schauerromantik zielt darauf, Schönheit aus dem Leiden unschuldiger Opfer zu erzeugen. Es liegt ein eindeutig sadistisches Element in der Schauerromantik, auch wenn die schlimmsten Schrecken üblicherweise jenseits der Bühne stattfinden. Das zarte weibliche Herz wird tief verwundet, der weibliche Geist bis an die Grenze des Wahnsinns oder darüber hinaus getrieben, der Körper gequält, prostituiert oder hingerichtet, während die weibliche Stimme sich zu ungeahnter Pracht hinaufschwingt.“ Nicht so jedoch Caterina Cornaro in Donizettis Oper von 1844: Sie reißt sich zusammen und wendet sich mit den Worten „Schluss mit den Ängsten“ als neue Königin an ihr Volk. Nur in einer zu sich selbst gesungenen Passage („Du verlierst alles, unglückliche Königin, und zu weinen ist ein Verbrechen für dich.“) ist noch zu erkennen, mit welcher Mühe sie sich diese Haltung abringen muss.

Andere Caterina-Opern

Donizettis „Caterina Cornaro“ war nicht die erste und blieb nicht die letzte Oper, die das Schicksal der letzten Königin Zyperns (1454-1510) ins Zentrum stellte. Zwischen 1841 und 1846 wurden allein fünf Opern aufgeführt, die auf dem französischen Libretto beruhen, das Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges für den Komponisten Jacques Fromental Halévy schrieb. Franz Lachner vertonte eine deutschsprachige, Donizetti und Giovanni Pacini italienischsprachige Adaptionen, William Balfe eine englische.

Die so modern anmutende Aussprache zwischen dem ehemaligen Paar, die durch den Ehemann Caterinas ermöglicht wird, gibt es bereits im fünfaktigen französischen Originallibretto. Dort jedoch ist der König bereits so stark vom Gift geschwächt, das ihm seine venezianischen Gegner verabreicht haben, dass er tatsächlich außerstande ist, den Besucher zu empfangen. Außerdem liegen zwischen seiner Verbrüderung mit Gerard und dessen Besuch bei Hofe mehr als zwei Jahre, sodass man kaum davon ausgehen kann, dass Lusignano ahnt, wer der Besucher ist. Erst durch die Kürzungen, die Donizettis Librettist Giacomo Sacchèro an der Vorlage vornahm, geriet nicht nur der Einfluss des Gifts in den Hintergrund, sondern der zeitliche Ablauf wird auch so zusammengedrängt, dass Lusignano Gerardo geradezu erwarten muss.

Prioritäten

Obwohl die Cabaletta Caterinas, in der die Titelfigur von der passiven, leidenden Frau wieder zum handelnden Charakter wird, so richtungsweisend erscheint, war Donizetti schnell bereit, sie wieder aufzugeben. Nachdem die Uraufführung 1844 in Neapel ein Misserfolg war, kam es 1845 zu einer zweiten Produktion in Parma, für die der Komponist den Schluss änderte. Hier ist Gerardo bereits im Krieg gefallen. Der sterbende Lusignano bekommt mehr Raum für eine Abschiedsarie, die Oper endet mit Klagerufen. Caterina verlässt also ihre Position des passiven Opfers bis zum Schluss nicht.

Weitaus wichtiger war Donizetti hingegen die fortdauernde und zugleich unmögliche Liebe zwischen Gerardo und Caterina. Im Zuge der Anpassungen für die Aufführungen in Parma 1845 schrieb Donizetti an den Bariton Felipe Varesi, der den Lusignano sang. Er bedauert in diesem Brief, keine Zeit für die nötigen Umarbeitungen zu haben und erlaubt hektisch weitgehende Eingriffe in seine Musik („Wenn die Sängerin eine Cabaletta hat, nehmen Sie, was ihr am besten liegt“), betont aber an anderer Stelle: „Wenn die Worte nicht die von Sacchèro sind, mit denen er sagt ‚mi feci crociato ma, all'altar davanti a Dio‘ (‚Ich wurde Kreuzritter, aber am Altar vor Gott‘) usw., wenn das nicht die Worte sind, ruiniert man Poet und Maestro.“

Zeilen wie „Und wenn ich am Abend in Tränen die Lieder des Glaubens auflöse, blicke ich im Eifer des Gebets zu Gott, denke aber an dich“ waren jedoch bereits in den Vorbereitungen zur Uraufführung von der Zensur getilgt worden. Auch das Kreuz auf Gerardos Brust und andere Hinweise auf seinen Eintritt in einen Orden sowie das leidenschaftliche Liebesgeständnis von Caterina mussten vor der Uraufführung verschwinden. Es war nicht erlaubt, Geistliche auf der Bühne überhaupt darzustellen, ganz zu schweigen von einer solchen Szene. In der veröffentlichten Textfassung ist Gerardo lediglich ein gläubiger Ritter, und Caterina wünscht ihm, dass seine Liebe sich in Freundschaft verwandeln möge.

Auch die Vergiftung war problematisch im Königreich Neapel, nicht zuletzt, weil hier ein König von den Vertretern einer Republik vergiftet wurde. In einem Brief, den Donizetti Anfang 1844 an seinen neapolitanischen Freund Teodoro Ghezzi schrieb, argumentiert er, dass dieser Vorgang doch bestens dazu geeignet sei, das Prinzip der Republik unsympathisch zu machen. (Er wünscht sich also eine Differenzierung zwischen dem, was auf der Bühne geschieht, und dessen möglicher moralischer Wirkung auf das Publikum – ein Aspekt, der auch in manchen modernen Diskussionen über die Statthaftigkeit der Darstellung unmoralischer Handlungen auf der Bühne fehlt.) Donizettis Argument verhallte ungehört: Auch die Hinweise auf die Vergiftung mussten vor der Premiere entfernt werden. Die Gießener Aufführung rekonstruiert die ursprüngliche, bei der Uraufführung nicht gesungene Textfassung vollständig, auch wenn die Hinweise auf die Vergiftung wegen der starken Kürzungen der Vorlage kaum zum Tragen kommen und dieser Handlungsstrang ohnehin dramaturgisch wenig überzeugen kann, da Lusignano nicht durch das Gift, sondern im Krieg zu Tode kommt.

Ausgestellt und eingesperrt

Wie glücklich oder unglücklich die historische Caterina Cornaro (1454-1510) mit ihrem Schicksal war, wissen wir nicht. Definitiv war sie eine Art Schachfigur, mit deren Verheiratung ihre Familie ihren Status festigte, die Republik Venedig sich eine neue Kolonie organisierte und von der König Jakob II. von Zypern (aus dem Hause Lusignan) sich vergeblich eine Stabilisierung seiner Herrschaft erhoffte. Die Republik Venedig adoptierte die Kaufmannstochter vor ihrer Heirat, damit Venedig persönlich die Königin stellen würde, sollte der Ehemann zu Tode kommen. Bald nach der Hochzeit starb Jakob II. tatsächlich, auch der Sohn der beiden überlebte das erste Lebensjahr nicht. Caterina wurde zwar Königin, faktisch aber regierte der venezianische Rat, bis Caterina 1489 zur Abdankung gezwungen wurde und den Rest ihres Lebens in einer Burg in Asolo in Venezien verbrachte. Ihr Leben erscheint heute auf ihre Funktion im Machtpoker reduziert, ihre Geschichte wurde in Gemälden, Romanen und eben Opern verarbeitet, wobei das Schicksal der historischen Frau den jeweiligen Bedürfnissen der Kunstform angepasst wurde – im Falle der Opern der 1840er Jahre wurde sie zu einer leidenden, seelisch verwundeten und an den Rand des Wahnsinns getriebenen jungen Frau. Dazu wurde ein französischer Liebhaber hinzuerfunden, die machtpolitischen Interessen Venedigs auf die Figur Mocenigo projiziert und Jakob II. zu einem noblen Edelmann stilisiert, während Caterinas Aktivitäten sich in vielen Szenen auf Schmerzensausrufe beschränken. In zweifacher Hinsicht also wird die Figur in ein Handlungskorsett eingebunden und öffentlich präsentiert. Als Bild für diese Situation erfanden die Regisseurin Anna Drescher und die Bühnen- und Kostümbildnerin Tatjana Ivschina eine große Vitrine, die Caterina nicht verlassen kann, bis sie sich selbst daraus befreit.

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