Versiegelte Zeit oder Klänge des Gesellschaftsraums

Ein Gespräch mit den beiden Komponisten der spartenübergreifenden Eröffnungspremiere Posthuman Journey, Hannes Strobl und Michael Emanuel Bauer, über Musik und Gesellschaft, Komponieren für den Raum und das Singen im Badezimmer. Die Fragen stellte Christian Förnzler, Dramaturg für Musiktheater.


Ihr beiden habt für unsere multimediale Eröffnungsproduktion Posthuman Journey die Musik komponiert und das Klangkonzept entwickelt. Die Trilogie von Pat To Yan wird als immersives Theater-Erlebnis inszeniert, das die Bedingungen einer freien Gesellschaft verhandelt. Inwiefern spielt für euch Musik oder im Besonderen eure eigene Musik eine gesellschaftliche Rolle?  

Hannes Strobl: Natürlich hat Musik auch eine gesellschaftliche Funktion, allerdings entsteht Musik heute sehr stark unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, ist größtenteils zum Produkt, zum Konsumartikel geworden und wird meist über Streaming-Anbieter gehört.

Michael Emanuel Bauer: Diese Frage ist in der zeitgenössischen Musik absolut virulent. Es wäre sehr elitär zu behaupten, die Musik die wir machen hätte eine gesellschafts-politische Relevanz. Diesbezüglich war schon Luigi Nono auf dem Holzweg. Orte wie das Stadttheater waren ja historisch betrachtet Tempel der Hochkultur, des Kulturbildungsbürgertums, da bewirkt man auch heute nichts. Wenn dann nur die Populär-Kultur, sie setzt Prozesse in Gang.

HS: Was ich aber in diesem Zusammenhang interessant finde ist die Tatsache, dass in dieser Arbeit auch Stadtklang als musikalisches Material verwendet wurde. Man hört einen Unterschied, ob man sich in Hongkong, New York, Berlin oder Moskau befindet. Der Klang der Stadt wird durch verschiedene Aktivitäten und Bewegungen erzeugt. Wirtschaft, Klima, Kultur, Technologie, der architektonische Raum – all das lässt sich hören und formt einen urbanen Klangraum. Auch politische Bewegungen bilden sich akustisch im Stadtklang ab. Oft nehmen wir das alles nicht bewusst wahr, weil man auf Wegfiltern und Weghören trainiert ist. Trotzdem kann man den Stadtklang auf sehr unterschiedliche Weise hören, auch musikalisch. „The basic musical experience is the absence of music“, sagte John Cage. Wenn urbane Klänge in einem anderen Kontext und Zusammenhang auftauchen, kann man diese neu wahrnehmen. Insofern gewinnt man dadurch auch eine Art Autonomie zurück.

MEB: Der Begriff Autonomie ist spannend. Ich glaube, das ist mitunter ein Unterschied unserer Musik zu vielen anderen: Wir illustrieren nicht. Bei uns ist die Musik eigentlich eine eigenständige Ebene. Überhaupt nicht im Sinne von Gesamtkunstwerk, wo es einen Primat gibt – zum Beispiel den Text –, dem sich alle anderen Künste unterordnen. Bei uns verschmilzt nichts, die Musik läuft immer als autonome Schicht. Das bedeutet, unsere Musik könnte auch ohne das Stück von Pat To Yan funktionieren, sie ist nicht funktional. Aber sie erzeugt eine Mehrdimensionalität der Themen. Ich habe lange mit dem Rainer Werner Fassbinder-Komponisten Peer Raben gearbeitet und Fassbinder hat zu ihm stets gesagt: „Erzähl du die Geschichte, wie du sie siehst!“ So ähnlich würde ich das für uns auch beschreiben.

Besonders an Posthuman Journey ist ja auch die räumliche Situation von Zuschauerraum und Bühne, da wir diese Trennung aufheben und das Publikum – zumindest im ersten Teil – sich frei im ganzen Raum bewegen kann …

MEB: … da entsteht eine extreme Raumklang-Situation.  

HS: Das was du sagst ist nochmal ein wichtiger Schritt. Man komponiert Musik, entwickelt Klangstrukturen im Vorfeld. Ein weiterer Schritt erfolgt dann im Raum vor Ort, in dem man die akustischen Eigenschaften in den Kompositionsprozess einfließen lässt. Die Musik für Posthuman Journey kann also nicht 1:1 in einem anderen Raum aufgeführt werden, sie ist für diesen speziellen Raum konzipiert. Normalerweise hat man ja eine Beschallung, die direkt auf das Publikum gerichtet wird. Für Posthuman Journey wurden unter anderem Lautsprecher im Schnürboden platziert, die auf die Brandmauer auf der Hinterbühne oder auf die Decke des Theatersaals gerichtet sind. Das Klangmaterial wird also durch die Brandmauer oder die Decke gefärbt und gefiltert. Grundsätzlich hat jeder Raum einen klanglichen Einfluss auf akustische Ereignisse. Viele Menschen singen beispielsweise gern im Badezimmer. Warum? Weil es dort so schön resoniert und die Stimme groß und voll klingt.

Ihr habt ja schon öfter zusammengearbeitet, aber ich gehe mal davon aus, dass sich eure Arbeitsweisen doch auch unterscheiden. Hannes, du komponierst elektroakustisch, und du Michael im Fall von Posthuman Journey für Chöre, Sopranistin, Solo-Cello und Streichquartett.

MEB: Aber wir liegen ästhetisch auf einer Linie. Ich habe das so noch selten erlebt. Wir wissen, wenn wir miteinander sprechen, genau, was der andere meint.

Wie geht ihr da konkret ran?

HS: Ich habe im Vorfeld ein musikalisches und klangliches Konzept für die drei Teile von Posthuman Journey entwickelt, bevor Michael dazugekommen ist. Es gab also bereits einen Kontext, in dem das Streichquartett oder die Chöre eingearbeitet wurden. Als ich gemeinsam mit Thomas Krupa an der Konzeption des Abends gearbeitet habe, war uns wichtig, dass die Arbeit auch einen installativen und immersiven Aspekt hat.

MEB: In dem Sinne hat es vielleicht auch etwas Statisches, es ist einfach da. Es ist ein Zustand.

Wir hören ja beispielsweise im zweiten Teil durchgehend einen akustischen Puls, mal extrem kraftvoll, mal an der Hörgrenze verschwindend …

HS: Ja, dieser Puls hat unterschiedliche klangliche Qualitäten und kann auch verschwinden, sich auflösen, zur ambience im Raum werden. Das Material besteht aus Rauschklängen in verschiedenen Registern wie hoch, mittel, tief und wurde von mir am E-Kontrabass eingespielt. Dieser Klang wird durch einen Puls, durch sogenannte sidechain-compression, moduliert.

Wenn ihr so etwas konzipiert, habt ihr dann auch eine bestimmte Intention im Sinn, was sich beim Publikum einstellen soll?

 MEB: Sicherlich! Vielleicht bleibe ich bei diesem Beispiel vom zweiten Teil. Zu dem rauschhaften Puls gesellt sich das Solo-Cello. Jeder Klang, der später live erzeugt wird, ist eingebettet. Die Idee ist, dass nichts dominiert, sondern die Musik fokussiert. Häufig ist es so: Wenn Musik ganz leise ist, dann wird man auch für andere Nuancen und eben auch den Text sensibilisiert.

Ihr meintet ihr betrachtet die Musik autonom oder sie sollte getrennt betrachtet werden. Aber würdet ihr auch sagen, die Kompositionen haben nichts mit den Figuren zu tun?

MEB: Im Sinne der Figurenpsychologie eines Ibsen oder Tschechow – das gibt es in unserer Musik nicht, sie ist stilisiert und formbewusst. Die Musik kommt dem formalen Ansatz von Thomas Krupa diesbezüglich sehr entgegen.

HS: Würdest du das beim Chor auch sagen?

MEB: Gute Frage! Das ist natürlich etwas, was uns sehr interessiert hat, die Frage nach dem Umgang mit Sprache. Zwei Figuren, die Pat To Yan in seinem Text sprechen lässt, heißen „Die Ansammlung gequälter Seelen“ und „Die Ansammlung des Bösen im Menschen“. Wir haben uns entschieden, eine Mehrdimensionalität durch den Chor herzustellen. Die Einheit in der Vielfalt sozusagen. Wir haben uns Passagen gesucht, die nicht narrativ sind, sondern den Charakter des jeweiligen Chors beschreiben.  Im Fokus der vertonten Passagen steht die Klanglichkeit und nicht die Textverständlichkeit. Semantik geht in Phonetik über, die Loops verstärken das noch.

Wenn wir „Die Ansammlung des Bösen im Menschen“ und „Die Ansammlung gequälter Seelen“ semantisch nicht verstehen können, führt das ja auch in die posthumane Debatte, wenn der Mensch auf einmal unverständlich scheint und wir ihn damit hinterfragen …

MEB: … gerade die Musik im dritten Teil ist auf eine Weise posthuman. Wie geht es weiter? Gibt es die Zeit nach dem Anthropozän? Gibt es das Chthuluzän, wie es Donna Haraway nennt, wo der Mensch mit Androiden, mit Fauna und Flora gleichberechtigt lebt? Ich würde sagen, diese Art von Utopie ist in unserer Musik angelegt.

Wie kann sich denn so eine Zukunftsutopie, so ein verändertes Weltbild, ein veränderter Mensch in Klang ausdrücken?

HS: Das Klangmaterial ist ja auch meist nie wirklich nur elektronischer oder instrumentaler Natur. Im dritten Teil z.B. ist alles bis auf den Chor auf einem E-Kontrabass von mir eingespielt worden. Die erzeugten Klangschichten, die man im Raum wahrnehmen kann, entstanden dann mithilfe von bestimmten Spieltechniken auf dem E-Kontrabass in Kombination mit elektronischen Live-Effekten. Dadurch löst sich die Trennung von instrumentaler und elektroakustischer oder elektronischer Musik auf.

MEB: Das ist das Interessante. Auch unser Tonmaterial hat nichts mit klassischen Begriffen wie Harmonik oder Melodik zu tun. Es geht um Vertikalität und Horizontalität, um musikalische Aggregatszustände. Wir haben zwar auch Found Footage aus der klassischen Musikliteratur verwendet, wie beispielsweise von Gustav Mahler, was aber immer in unsere eigene Musik eingebettet ist, und auch immer eine Verschleierung erfährt. Das gilt auch für funktionsharmonische Momente in den Streichquartett-Stücken. Da gibt es immer eine klangliche Distanz, nichts ist naturalistisch. Das wirkt dann nicht lustig oder traurig oder whatever. Das ist wie eine neutraler Kamerablick, so nehme ich unsere Musik wahr.

Und worauf richtet sich diese Kamera?

MEB: Die Musik ist eine weitere Beobachterin, die dem zuschaut, was im Stück vor sich geht. Würde man Pat To Yans Trilogie verfilmen, wäre unsere Musik eine einzige, große Kameraeinstellung, die die Zeit einfriert … Fast Tarkowski-artig:  Musik als versiegelte Zeit.

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