Mach dich hörbar, mach dich laut!

Teilhabe an der Gesellschaft als Grundrecht für alle – und mit „alle“ sind auch junge Menschen gemeint. Ein Beitrag von Mathilde Lehmann.


Am 10. September, dem Tag des Theaterfests am Stadttheater Gießen, wurde es um 17 Uhr kurz laut am Berliner Platz. Kinder und Jugendliche bereiteten den ganzen Nachmittag eine Demonstration vor, die dann auch stattfand, um ihren Stimmen Gehör zu verschaffen. Plakate wurden gestaltet, die Anwesenden und Vorbeilaufenden konnten darauf lesen: „Die Welt hat Fieber“, „Kein Krieg“, „Blaues Wasser, blaue Meere“, „Aufbleiben“, „Warum erst ab 18 wählen?“ und mehrere Plakate forderten: „Mehr Liebe“. Das waren die Stimmen der jungen Menschen, die den Weg ins Kleine Haus gefunden hatten, und der Konsens war: Sie wollen viel, und vieles davon sind sinnvolle Beiträge für die Diskussionen der Erwachsenen. Die Jugend hat was zu sagen!

Die erwachsene Gesellschaft vermittelt jungen Menschen zu oft, dass ihre Stimme erst Gewicht erhält, wenn sie erwachsen werden. Ernst genommen zu werden, ist das ein Privileg der erwachsenen Welt? Wohin mit dem eigenen Anspruch auf Teilhabe und Mitmischen in der Gesellschaft, mit dem der einzelne junge Mensch am Ende gar nicht allein dasteht? – wir sind viele! Ja. Ihr seid viele und ihr habt ein Recht, euch Räume zu erobern, wenn sie euch nicht gegeben werden. An diesem Septembertag konnten Kinder und jugendliche Personen erfahren, wie Meinungsfreiheit im Rahmen der gesetzlichen Regeln funktioniert, und ja, wie auch Fridays for Future schon bewiesen hatten: Die Demonstration ist ein wichtiges Werkzeug der Demokratie. So können sich Menschen Gehör verschaffen, die nicht an den Tischen der Entscheidungen sitzen.

Foto: Katrina Friese

Foto: Katrina Friese


NACHGEFRAGT: DAS TEAM VOM JUNGEN THEATER

Was wolltest du werden, als du Grundschüler:in warst?

Stephan(Ensemble Junges Theater): Verhaltensforscher oder Tourist (Die Enttäuschung, dass das kein Beruf ist, war groß).

Dascha(Ensemble Junges Theater): Ich wollte Hexe werden.

Izabella(Ensemble Junges Theater): Nach dem obligatorischen Prinzessinnenwunsch wollte ich Friseurin und später dann Autorin werden.

Sebastian(Theaterpädagoge): Man sagte damals, ich wolle Priester werden. Vielleicht hab ich’s gesagt, damit sie aufhören zu fragen.

Mathilde(Leitung): Eine Lehrerin für Hexerei, wie bei Harry Potter, mit Zauberstab und auf einem Schloss.

Als du ein Kind warst, was hast du als ungerecht empfunden?

Dascha: Wenn ich mitbekommen hab, dass andere Kinder ausgegrenzt werden.

Stephan: Im Sommer Geburtstag zu haben. Da waren meist alle anderen in Urlaub, es wurde nicht in der Schule für mich gesungen und in meiner Grundschule musste man am Geburtstag keine Hausaufgaben machen, das konnte ich natürlich nie in Anspruch nehmen.

Izabella: Dass ich mein Zungenspitzen-r an das r der anderen anpassen musste.

Sebastian: Dass ich in Kindergarten und Schule herabwürdigend behandelt wurde. Und geschlagen.

Mathilde: Den Katzentisch. Ich habe nie verstanden, warum wir Kinder, die alle unterschiedlich alt waren, und kaum was gemeinsam hatten, bei Feierlichkeiten random an diesen Miniaturtisch gestopft wurden, wo wir dann spontanen Smalltalk erfinden mussten. „Und wie läuft bei dir die Schule?“ – „Ach, muss ja, muss ja.“

Was können Kinder, was Erwachsene verlernen?

Stephan: Unvoreingenommen an Neues herangehen.

Dascha: Ein unbeeinflusstes Standing haben, ein unarrogantes Selbstbewusstsein.

Mathilde: Die Welt im Kopf durch alternative Geschichten zu einer besseren machen. Mit Fantasie schaut man auf Probleme und findet Lösungen, die alle funktionieren würden, wenn auch wirklich jede:r mitmacht.

Izabella: Die Angst vor der Scham bzw. dem Schamgefühl überwinden.

Sebastian: Kinder können nicht Autofahren. Erwachsene nicht Blinken.


Im Jungen Theater geht es in allen Produktionen, allen Workshops, allen Sonderveranstaltungen immer und zuvorderst um Teilhabe. Echte Teilhabe, ein Forum für das was junge Menschen wollen. Und um Anregungen, wie sie sich die Werkzeuge zur Veränderung ihrer Welt nehmen und erarbeiten können.

In der ersten Premiere des Jungen Theaters am 24. September, „Luft nach oben“, wurde das Thema Zukunft in die Welt der Viertklässler:innen geholt. Drei 9-Jährige Kinder, Fri, Sop und Kar, kriegen von ihrer Lehrerin Frau Besserwisserin die Frage gestellt, was sie denn einmal werden wollen. Eine geladene Frage, wenn man genauer darüber nachdenkt. Denn was, wenn dieses Anskizzieren der eigenen Zukunft kein Spiel ist, sondern Konsequenzen hat? Auf die schulische Bildung, die berufliche Laufbahn, damit ja dann eben auch, Erwachsene wissen das, mindestens 60% des alltäglichen Lebens, meistens mehr. Natürlich darf man Kindern die Frage stellen, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Doch wenn diese Frage reale Folgen hat, dann gilt es, die Diskussion zu moderieren.

Worum geht es für dich bei „Luft nach oben“?

Yeşim Keim Schaub (Regie): Für mich geht es in dem Stück um eine Freundschaft, die von der Außenwelt auf die Probe gestellt wird. Wir leben in einer Gesellschaft, die uns von klein auf nach unseren Leistungen bewertet. Jede:r kämpft alleine und jede:r gewinnt alleine. Dabei ist es uns allen und vor allem unseren Held:innen bei „Luft nach oben“ ein Anliegen, ihrer Siege und Verluste zu teilen und gemeinsam gegen die Herausforderungen des Alltags anzutreten. Dass ihre Eltern und die Lehrer:innen anderen Pläne für die Zukunft ihrer Kinder haben, spüren die Protagonist:innen dieses Stückes nur zu gut.

Lili Süper (Bühne, Kostüme und Video): Darum, wie der Ernst des Lebens in eingespielte Welt dreier bester Freunde tritt.

Fri, Sop und Kar haben augenscheinliche Schwierigkeiten mit dem Arbeitsauftrag, im Alter von 9 Jahren ihre Zukunft schon vorzuzeichnen. Findest du, das ist eine Frage, die man Kindern stellen sollte und falls ja/nein, warum?

Fabienne Dür (Autorin): Ich denke, man kann die Frage durchaus stellen, sie stellt sich Kindern ja selbst über die Berufe ihrer Eltern oder im Austausch und Spiel mit anderen Kindern. Aber ich denke, sie sollte nicht mit so einer Konsequenz gefragt werden, wie es im Stück der Fall ist.

Die Problematik an solchen Aufgabenstellungen, wie sie Frau Besserwisserin im Stück stellt, ist, dass sie voraussetzen, dass jedes Kind darauf eine ganz klare und vor allem nur eine Antwort hat. Auch wenn es die Freiheit gibt, alles zwischen Ärztin und Zauberer werden zu wollen, ist keine Antwort zu haben oder vielleicht zu viele, nicht vorgesehen. Ich habe mich als Kind sehr oft schwer damit getan, wenn es solche Aufgaben gab, egal ob es der Traumberuf, die Lieblingsmusikerin oder gar das Lieblingsessen war. 

Falls man dich damals gefragt hat, was du mal werden möchtest, kannst du dich noch an deine Antwort erinnern?

YKS: Ich weiß, dass ich schon sehr früh vom Theater begeistert war, aber damals konnte ich mich noch nicht entscheiden, Archäologie erschien mir auch sehr aufregend.

FD: Ich wollte mit meiner damals besten Freundin zusammen Bücher schreiben. Wobei klar war, dass sie schreibt und ich „nur“ illustrieren darf. 

LS: Ich wollte Astronautin werden und die erste Frau auf dem Mond sein. Bis 2022 waren ausschließlich Männer dort. Es ist also noch nicht zu spät.

Frau Besserwisserin stellt das Gymnasium als etwas gleichermaßen für die meisten Unerreichbares wie auch als Hauptgewinn für Kinder dar. Wie ordnest du das Abitur im Verhältnis zu anderen Abschlüssen ein?

LS: Ich finde es – gerade auch als Bühnenbildnerin – enorm schade, wie wenig Anerkennung handwerkliche Berufe in unserer Gesellschaft finden. Vieles ist auf die Kopfarbeit ausgelegt und ich glaube, auch durch die Digitalisierung vergessen wir manchmal, dass wir körperliche und materielle Wesen sind. Ich fände es schön, wenn meine Kinder sich einmal als Tischlerin genauso anerkannt fühlen könnten, wie mit einem Universitätsabschluss. Trotzdem ist erst einmal nichts daran falsch, sich 12 Jahre Zeit zum Lernen zu nehmen.

Das Stück endet, ohne zu viel verraten zu wollen, dann doch mit einer hoffnungsvollen Note. Was war dir wichtig, dem jungen Publikum, das dieses Stück anschaut, mit auf den Weg zu geben?

FD: Das Ende und das Stück generell sollen für mich eine Ermutigung dafür sein, eher die Frage zu stellen: wer will ich sein und mit wem. Denn auch wenn die Schule einen sehr starken Rahmen bildet und man viel Zeit dort verbringt, gibt es auch immer noch ein Leben außerhalb. Und auch wenn man auf unterschiedliche Schulen oder Schulformen geht, kann man sich in der Freizeit theoretisch trotzdem sehen. 

YKS: Fri, Sop und Kar müssen über das Stück hinweg lernen, auch über Themen zu reden, die ihnen wehtun oder die sie nicht unbedingt nachvollziehen können. Ich glaube, für die drei ist es unglaublich wichtig zu erfahren, dass sie trotz ihrer Unterschiede füreinander da sein können und sich auch füreinander einsetzen müssen.


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