Wer will schon der Baum sein auf der Bühne?

Am 20. März ist der Welttag des Theaters für junges Publikum. Ein Impuls von Mathilde Lehmann.


Als ich selbst ein Kind war, ging meine Klasse zu einer interaktiven Version von „Die Zauberflöte“ für Kinder. Die Opernproduktion wurde gekürzt auf Tamino, Pamina, Papageno und Papagena, und in das Foyer eines Theaterhauses verlagert, mit Klavier statt Orchester. Wir Kinder wurden dazu eingeladen, am Geschehen teilzunehmen und die „Bühne“ – einen Teppichläufer im Foyer – zu erobern. Kaum auf dem Läufer angekommen, wurden wir in zwei Reihen aufgestellt und eine freundliche Frau bat uns, still stehen zu bleiben. Wir bekamen Baumrequisiten (Stöcke und Blätter) in die Hand und man sagte uns, wir dürften nun Bäume sein für den Rest des Stücks. Ich und zwei andere Kinder probierten ein paar Baumgeräusche, das sollten wir dann bleiben lassen. Papageno und Papagena verliebten sich zwischen unserem Blattwerk und unsere Erzieherin machte Fotos. Am Ende bekam ich ein Autogramm von Tamino auf einer Serviette.

Ob das alles ganz genau so war, kann ich natürlich nicht mit Sicherheit sagen, ich war sehr klein und es ist ein paar Jahre her – aber ich kann mich sehr gut erinnern, an dieses schale Gefühl, mit jeder Regung zu stören, „falsch“ mitzumachen. Mir wurde davor gesagt, das wäre ein Erlebnis zum Mitmachen und Mitgestalten, und dann stand ich stattdessen da mit einem Stock in der Hand und dachte, ich darf nichts, sonst „störe“ ich.

Als ich zu Beginn dieser Spielzeit in verschiedenen Runden des Kennenlernens gefragt wurde, wann ich zum Theater gekommen bin, habe ich geantwortet, das sei mit 13 passiert. Ich war als Jugendliche schüchtern, traurig, verschlossen und brauchte dringend eine alternative Form des Ausdrucks zu den gestrengen Regeln der Grüppchen auf dem Schulhof. Das stimmt auch, ist aber die Kurzversion. In der Langversion komme ich als enttäuschter Baum zum Theater, der glaubt, dass Teilhabe für junges Publikum anders aussehen kann. An diese merkwürdige „Zauberflöte“ mit ganz toll singenden Profis und einem leise atmenden Bühnenbild denke ich in letzter Zeit oft und frage mich: Warum dürfen Kinder denn Vorstellungen nicht „stören“, die doch für sie gemacht sind? Und wie soll das überhaupt gehen? Das ist doch die wichtigste Frage im Theater, nämlich die, ob sich eine Zielgruppe falsch verhalten kann oder ob die Zielgruppe als Ganzes falsch verstanden wurde und damit nicht mehr die Zielgruppe ist.

Ein Kind, das den Auftrag erhält, Baum zu sein, wird mit aller Fantasie und Durchsetzungskraft diesen Baum performen, bis die Wände wackeln und einbrechen, bis der Baum umgeben ist von einem ganzen Wald und man den Wind in den Ästen rauschen hört, der Papageno die Feder vom Hut pustet. Der Wald macht in dieser spezifischen Oper zwar gewöhnlich überhaupt nichts – aber jetzt schon, weil die Kinder dieser Wald sind und damit den Verlauf der Oper ändern: Pamina muss gar nicht befreit werden, sondern wird einen herabhängenden Ast greifen und sich so selbst aus diesem Gefängnis befreien. Dann kann sie Tamino vor der Schlange retten, Papageno hat was zu schauen und ist nicht mehr so traurig.

Kurzum: Wenn ein Programm für Kinder gedacht ist, muss es sie auch meinen. Kinder sind nicht die Statist:innen eines niedlichen Fotos, das am Ende den Eltern nach Hause geschickt wird.

Der Welttag des Theaters für junges Publikum ist eine bildungs- und kulturpolitische Angelegenheit. Die ASSITEJ – die Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche – feiert am 20. März eines jeden Jahres den Welttag des Theaters für junges Publikum, und das Junge Theater am Stadttheater Gießen feiert mit. Jedes Kind und jede:r Jugendliche hat ein Recht auf Kunst und Kultur!

Das sind nicht nur Floskeln, so wie manchmal über junges Publikum gesagt wird: Ihr seid das Publikum von morgen. Oder: Ihr seid unsere Zukunft. Diese jungen Menschen kommen nicht erst morgen, sie sind hier, heute, jetzt, und sollen alle Chancen haben, die auch Erwachsene für sich einfordern. Das junge Publikum ist das Publikum von heute. Junge Menschen leben in unserer Gegenwart, und die Zukunft teilen wir uns mit ihnen.

Du bist ein junger Mensch und möchtest aktiv werden, teilhaben, mitgestalten?

Melde dich unter junges.theater@stadttheater-giessen.de. Wir haben Workshops für Spiel, Tanz und auch Ferienangebote. Bei den Workshops entwickelst du mit anderen jungen Menschen und uns gemeinsam, was und wen du spielst, kannst deine Szenen selbst entwickeln und schreiben. Wir nehmen regelmäßig Schülerpraktikant:innen zu uns in die Sparte, und schaffen Einblicke in unsere Arbeit hinter den Kulissen. Für Gruppen bieten wir spielpraktische Workshops, Führungen, und noch vieles mehr an. Unser volles Angebot findest du hier und hier.

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