Wie zwei Pflanzen

Seit September ist Vladimir Yaskorski Erster Kapellmeister und stellvertretender Generalmusikdirektor am Stadttheater Gießen. Gerade hat er mit „Caterina Cornaro“ seine erste Gießener Opernproduktion herausgebracht, im Januar wird er das 3. Sinfoniekonzert leiten. Ann-Christine Mecke hat ihn zum Gespräch getroffen.


Macht es einen Unterschied für deine Arbeit, ob du eine unbekannte Oper wie „Caterina Cornaro“ dirigierst, oder ein etabliertes Repertoire wie „La clemenza di Tito“, was du im Mai musikalisch leiten wirst?

Es gibt mehr Freiheit. Ich versuche zwar immer, erst die Partitur zu lesen und dann Aufnahmen zu hören, aber bei „Caterina Cornaro“ war ich trotzdem unbelasteter als bei bekannten Werken. Es gibt nur zwei Aufnahmen, in die ich auch reingehört habe. Ein Nachteil ist, dass man auch dann nicht etliche Aufnahmen vergleichen kann, wenn man eine echte Frage hat und wissen möchte, welche Lösungen andere gefunden haben. Aber das war bei diesem Stück nicht der Fall.

Ich finde deine Version im Vergleich zu der Aufnahme, die ich sehr gut kenne, oft deutlich dramatischer, kantiger – war das eine bewusste Entscheidung?

Ich empfinde das auch so, auch sind die Tempi bei uns schneller. Aber das hat sich eher in den Proben entwickelt, das war keine theoretische Entscheidung. Es hat mit den Sänger:innen zu tun und mit dem Orchester. Auch Anna Dreschers Ästhetik hat eine Rolle gespielt: Die Inszenierung ist ziemlich intellektuell und konsequent, weniger romantisch oder verspielt.

Das heißt, du reagierst musikalisch auf das, was du bei den szenischen Proben erlebst?

Es gibt Entscheidungen, die ich sehr bewusst treffe, aber ich glaube, das meiste passiert unbewusst, wenn man viel bei den Proben ist. Man spürt dann einfach, was das richtige Tempo für die Sänger:innen und die Szene ist. Szene und Musik sind wie zwei Pflanzen, die man nebeneinander setzt: Sie brauchen Zeit, und dann wachsen sie zusammen.

Gab es etwas in der szenischen Arbeit, dass dich erstaunt oder irritiert hat?

Lusignano hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Ich habe ihn anfangs als sehr noblen und gütigen Charakter gesehen, aber Anna hat auch negative Seiten von ihm gezeigt. Das hat mich überrascht, aber dann überzeugt. Ich finde es wichtig, bei so etwas nicht sofort zu protestieren, sondern es auszuprobieren und zu schauen, wohin es führt.

Du hast mal gesagt, dass du die musikalisch übergangslosen Brüche in „Caterina Cornaro“ außergewöhnlich findest. Welche Stellen meinst du damit?

Donizetti setzt manchmal fremde Tonarten unmittelbar hintereinander, ohne Übergangstöne. Manchmal hat man fast das Gefühl, er hatte einfach keine Lust mehr, die Übergänge zu gestalten. Aber das ist genau das, was moderner und kantiger wirkt. Es ist schwer zu sagen, ob das bewusst gesetzt oder einfach aus Zeitmangel passiert ist, aber das ist eigentlich auch egal.

Wir können nur das interpretieren, was da ist.

Genau. Und so etwas kommt im Spätwerk verschiedener Komponisten vor, in Beethovens späten Quartetten zum Beispiel, die sind auch nicht mehr so harmonisch. Vielleicht haben sich diese Komponisten im Spätwerk einfach auf andere Dinge konzentriert. Da wird es dann wichtig, den Fokus auf bestimmte Wendungen zu setzen, und die Übergänge stehen dann nicht mehr so im Vordergrund.

Was sind die Besonderheiten beim Dirigieren einer Belcanto-Oper?

Die Balance zwischen Orchester und Stimmen und die richtigen Tempi sind in der Oper immer zentral – sonst hört man die Sänger:innen nicht oder es ist nicht zusammen. Aber im Belcanto ist es vielleicht noch eine Spur wichtiger, die Sänger:innen gut zu begleiten. „Caterina Cornaro“ ist für mich allerdings keine reine Belcanto-Oper. Dass sie stilistisch nicht eindeutig ist, finde ich gerade spannend. Manche Nummern klingen schon sehr wie Verdi, zum Beispiel die Einleitung zum letzten Akt, und eigentlich alle Duette, auch das Quartett. Die Arien dagegen sind eher traditioneller Belcanto.

Du bist studierter Geiger. Wie bist du von der Geige zum Dirigieren gekommen?

Das war eigentlich eine ganz natürliche Entwicklung, es gab keinen Bruch. Ich habe schon als Kind gerne Dirigent gespielt, die Tätigkeit hat mich fasziniert. Eine Weile wollte ich auch Komponist werden, aber die Unmenge bereits existierender Musik hat mich blockiert: Ich wollte unbedingt eine Sprache finden, die es noch nicht gibt, und das ging nicht. Heute würde ich jedem empfehlen, sich nicht darum zu kümmern und einfach zu schreiben, was einem Freude macht.
Dirigieren ist natürlich etwas ganz Anderes als Komponieren, aber es gibt eine gewisse Ähnlichkeit, weil man den Klang des ganzen Orchesters formen kann. Mir gefällt an dem Beruf die Vielseitigkeit: Man muss nicht nur proben und üben, sondern auch viel über die Stücke lesen, sich mit der Regie austauschen, Proben organisieren, sich in Fragen des Bühnenbilds einmischen und so weiter. Diese Tätigkeiten sollten nicht Überhand nehmen, aber die richtige Mischung macht mir Spaß.

Du bist Armenier, deine Muttersprache ist Russisch. Im 3. Sinfoniekonzert dirigierst du u.a. Werke von Sofia Gubaidulina und Dmitri Schostakowitsch. Inwiefern hat dich die Kultur deiner Heimat geprägt, und was empfindest du überhaupt als deine Heimatkultur?

Russisch war im Kaukasus, in dem so viele kleine Länder nebeneinander liegen, oft die gemeinsame Sprache, so auch bei uns: Mein Vater ist Russlanddeutscher aus Aserbaidschan, meine Mutter ist Armenierin, stammt aber aus Georgien. Ich denke, dass mich die sowjetische Musik von Schostakowitsch, Prokofjew, Gubaidulina und Schnittke geprägt hat, aber auch Gija Kanscheli, Awet Terterjan oder Arvo Pärt. Was man seit der Kindheit kennt, ist einem besonders nahe. Zum Beispiel vermitteln mir diese grauen und tristen Plattenbausiedlungen, wie man sie auch aus deutschen Städten kennt, ein heimatliches Gefühl von Geborgenheit. Ich finde auch, dass ein bayrisches Bergdorf objektiv schöner ist, aber im grauen Plattenbau fühle ich mich zu Hause und kann frei durchatmen. Meine Freundin, die aus Dresden kommt, findet das ziemlich lustig. Die sowjetische Musik hat oft einen ähnlichen Charme: etwas karg, mit scharfen Schwarz-Weiß-Kontrasten. Das spricht mich emotional sofort an.

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