Das röhrende Schicksal

Anna Deyhle, Soloklarinettistin, und Thomas Orthaber, Zweiter Klarinettist, des Philharmonischen Orchesters Gießen berichten im Vorfeld des 2. Sinfoniekonzerts über eine besondere Stelle in Tschaikowskis 5. Sinfonie, die Kraft des Zusammenspielens und den Klang von zwei Klarinetten unisono.


Anna Deyhle: Für uns beide in den Klarinetten-Stimmen ist an Tschaikowskis 5. Sinfonie wirklich ungewöhnlich, dass wir über weite Strecken unisono, also zu zweit dieselbe Stimme spielen. Das beginnt schon ganz am Anfang der Sinfonie: In der langsamen Einleitung stellen wir solistisch, begleitet von den Streichern und den Fagotten, ein musikalisches Thema vor, welches manchmal auch „Schicksalsthema“ genannt wird. Über 30 Takte hinweg spielen wir alleine diese für das ganze Werk so zentrale Stelle, die im weiteren Verlauf der Sinfonie in allen vier Sätzen immer wieder auftauchen wird.

Thomas Orthaber: Vor der eigentlichen Orchesterprobenphase haben wir uns deshalb auch schon allein getroffen, um das Werk gemeinsam durchzugehen, vorzubereiten und zu spielen.

Anna Deyhle: In der langsamen Einleitung erklingen sehr häufig absteigende, nach unten gerichtete Linien. Am Ende von einzelnen Motiven schreibt Tschaikowski auch immer noch Decrescendi, also leiser werden. Dabei müssen wir trotzdem versuchen einen Bogen zu spannen und nicht zu früh einen Tiefpunkt zu erreichen, obwohl die musikalische Geste immer abbaut.
Für mich macht das Werk aber auch ganz besonders, dass wir so viel unisono zusammenspielen. Man hat hier nicht einfach eine Solostelle für die Erste Klarinette, auf die es dann ankommt, sondern wir spielen das Solo zusammen und es funktioniert zusammen. Wir sitzen jetzt schon so viele Jahre nebeneinander. Ich bin seit 17 Jahren im Orchester, Thomas seit 12 Jahren. Dass wir beide auch so gut miteinander auskommen und spielerisch so gut miteinander funktionieren (was nicht selbstverständlich ist), ist dabei unerlässlich. Und wenn zwei Klarinetten gleichzeitig dieselbe Stimme spielen, klingt es auch einfach ganz besonders. Das verstärkt den Klang immens und hat eine ganz andere Energie, als wenn man allein spielt.

Thomas Orthaber: In der tiefen Lage in der wir das „Schicksalsthema“ zu spielen haben, klingt es manchmal schon fast wie eine Bassklarinette. Vielleicht geht dadurch gelegentlich dieses Weiche und der „Schmelz“ der Klarinette etwas verloren, aber dafür wird der Klang umso intensiver, eindringlicher und bekommt fast etwas „Röhrendes“. Die tiefe Lage hat aber auch ihre Tücken. Besonders wenn man sehr leise zu spielen hat, – und wir müssen in der Sinfonie bis ins dreifache Piano – droht der Ton den wir erzeugen auch mal in die Höhe wegzurutschen. Und selbst die Tuttistellen, wenn das gesamte Orchester spielt, müssen wirklich sehr gut geübt sein, denn man hört alles – auch das, was nicht gut gelingt. Und wenn Anna und ich über so weite Strecken immer unisono zusammenspielen, muss man vom anderen auch Kritik aufnehmen können. Manchmal ist man zu hoch, manchmal zu tief. Das muss man sich selbst eingestehen können.

Außerdem ist die Dimension des Stücks besonders für unseren Ton-Ansatz, wie wir den Ton erzeugen, eine Herausforderung. Als Bläser ist man in Tschaikowskis 5. Sinfonie permanent gefordert. Hinterher ist man dann doch auch sehr erschöpft. Wenn der Konzerttag mehr und mehr näher rückt, muss man auch darauf achten nicht mehr zu viel zu üben …

Anna Deyhle: … und am Konzerttag selbst außer dem Konzert auch nicht mehr zu viel zu spielen. Aber gleichzeitig wird man von der Musik auch so gefangen, dass man über die Länge oder die Ausdauer, die es fordert, auch gar nicht mehr nachdenkt. Dann macht es einfach Spaß, weil dieses Werk so eindrückliche Musik ist.


Anna Deyhle und Thomas Orthaber

Anna Deyhle und Thomas Orthaber

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