Gemeinsam erzählen

Liebes Publikum,

die Redaktion dieser Seite erinnert mich daran, dringend eine neues „Liebes Publikum“ zu schreiben. Aktuell, möglichst schnell. Etwas mit Individualität wäre schön. Wegen „The Addams Family“

Ich habe aber keine Lust. Eigenwilligkeiten, Eigensinn, persönliche Bedürfnisse, Meinungen, Geschmäcker, Sichtweisen – all das loten wir täglich miteinander aus; und manchmal gleicht es einem Wunder, dass wir überhaupt und immer wieder zu gemeinsamen Präsentationen von Ergebnissen kommen. Zu Gesamtkunstwerken. Nicht nur, was den Zusammenschluß unterschiedlicher künstlerischer Disziplinen angeht, sondern auch das Miteinander verschiedenster Menschen. Soll ich da wirklich ein Hoch auf die Individualität singen? Gelingt uns nicht vor allem dann etwas, wenn wir statt „Ich“-zu brüllen „Wir“ denken, wenn wir uns einlassen, zuhören, die Egozentrik in der Ecke parken, das Beharren auf den eigenen Standpunkt befragen? Spreche ich da nun von Demokratie, als die Kunst des Aushandelns und Aushaltens oder bin ich schon dabei über das Wesen des Theaters zu schreiben? Vielleicht möchte ich auch einfach behaupten, dass die Bühne, dass das Theater ein Ort ist, an dem wir diese Prozesse üben dürfen und deshalb so wichtig für unser freiheitlich demokratisches Zusammenleben. Auf und hinter der Bühne geht nichts ohne Verständigung, ohne Rücksicht, ohne Neugier, ohne Respekt. Selbst radikale, originäre Konzepte, die im Kopf von Einzelkünstler*innen entstehen zersplittern, wenn sie nicht von vielen Schultern, Herzen und Köpfen getragen werden.

Ich sehe ein Ensemble. Ich sehe ein Orchester. Ich sehe einen Chor. Unterschiedliche Herkünfte, unterschiedliche Sozialisation. Unterschiedliche Spezifizierungen. Schauspieler*innen, Opernsänger*innen, Musicaldarsteller*innen, Musiker*innen. Sie singen miteinander, hören aufeinander, tanzen zusammen, spielen Szenen und sprechen Dialoge. Egal, wer aus welcher Sparte kommt.

Hinter der Bühne sehe ich Techniker*innen, Requisiteur*innen, Menschen die sich um Licht, Ton, Video kümmern, sich um den reibungslosen Ablauf und um die Sicherheit aller Beteiligten sorgen. Sie alle stellen sich in den Dienst einer gemeinsamen Sache.

An allen Ecken dieses Hauses gibt es Zusammenschluss, Grenzüberwindung, Auflösung von Schubladendenken. Beim spartensprengenden Musical „The Addams Family“ genauso wie bei dem Projekt von Tanz und Orchester „In the end I was somehow expected in this world“ und an vielen Stellen mehr.

Auch wenn wir Geschichten über Individualität und Einsamkeit erzählen, wir tun es gemeinsam und wir teilen diese Gemeinsamkeit mit Ihnen, unserem Publikum.

Darauf habe ich Lust.

Sie auch?

Ihre Simone Sterr


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Das ausführliche Interview mit Kostümbildnerin Kristin Buddenberg zur Addams-Produktion wird in Kürze hier veröffentlicht.

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