Auf der Suche nach dem Glück

Mit „Hundepark“ ist aktuell ein Krimi auf der großen Bühne zu sehen, der von den Versprechen und Risiken eines wenig besprochenen Metiers erzählt: Der Branche für Eizellenspende und Leihmutterschaft. Regisseurin Simone Sterr und Musiker Jojo Büld im Gespräch über einen tabuisierten Wirtschaftszweig, die Romanvorlage und ihre Zusammenarbeit mit vier jungen Gießener Musikerinnen.

Foto: Lena Bils

Foto: Lena Bils


Lena Meyerhoff: Sofi Oksanens Roman „Hundepark“, der zwischen Helsinki und der Ukraine spielt, ist im Januar 2022 auf dem deutschsprachigen Buchmarkt erschienen. Nun hören und lesen wir seit Februar 2022 täglich Meldungen aus dem Kriegsgebiet, die Ukraine ist als Land momentan nicht vom aktuellen Zeitgeschehen zu trennen. Trotzdem ist „Hundepark“ nicht direkt ein Stoff, der sich mit dem Krieg in der Ukraine befasst, wohl aber mit den Jahrzenten zuvor. Aus welchen Gründen hast du dich als Regisseurin für diesen Roman entschieden?

Simone Sterr: Ich hatte den Tipp von einer Lektorin aus dem Verlag. Ich habe das Buch angefangen und es wirklich verschlungen. Es ist eine wahnsinnig toll erzählte, spannende Geschichte. Einfühlsam und sensibel, dabei ein knallharter Krimi. Den Wirtschaftszweig des Geschäfts mit der Hoffnung auf Mutterglück auf der einen, und der Ausbeutung der Reproduktionskraft des weiblichen Körpers auf der anderen Seite: Das hat mich extrem eingenommen. Der Roman erzählt aber auch osteuropäische, postsowjetische Geschichte. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Entwicklung der unabhängigen Republiken wie der Ukraine sind ja ein Teil der europäischen Historie und helfen uns zu verstehen, was gerade los ist.

LM: Das Thema Eizellenspende mutet erst einmal relativ speziell an, fast wie ein Nischenthema, mag man denken. Dennoch geht es ja um Fragen zu Mutterschaft, Elternschaft im Allgemeinen, dem unerfüllten Kinderwunsch. Selbstverständlich auch ethische Fragen, auch solche, die die Gesetzgebung betreffen. In der Auseinandersetzung mit dem Stoff hat sich sehr viel Universelles freigelegt. Hat dich das überrascht?

Simone Sterr: Nein. Aber ich bin mit dem Thema auch schon länger beschäftigt. Ich glaube auch nicht, dass es ein Nischenthema ist. Ein Tabuthema vielleicht. Wer redet gern darüber, wenn das Natürlichste auf der Welt – ein Kind zu bekommen – einfach nicht klappt? Und wer redet in der Verklärung von Kinderglück und Mutterschaft anderseits über Geld, über ein Geschäft?

LM: Bei einem Vorhaben wie einer Romanadaption gibt es ja viele Wege und Ansätze, einen Stoff auf die Bühne zu bringen. Was war dir bei der Textarbeit an „Hundepark“ wichtig?

Simone Sterr: Der Roman ist aus der Perspektive der Hauptfigur Olenka geschrieben. Ihre Dramaturgie des Sich-Erinnerns ist dessen Erzählstruktur. Ihre Erinnerungen bilden die Puzzleteile aus denen sich nach und nach das Gesamtbild der Geschichte ergibt. In der Theaterfassung ging es darum, den Figuren, die wir im Roman nur durch die Sichtweise von Olenka kennenlernen, eigenständige Charaktere zu geben, die nicht nur lebendig werden, wenn sie durch die Augen der Hauptfigur gesehen werden, sondern als Persönlichkeit da sind und sich behaupten. Dass sich die Geschichte nicht stringent, nicht chronologisch erzählt, sondern Bruchstück für Bruchstück fügt, gibt theatralisch viel her. Auch die Zeit- und Ortswechsel sind eine Herausforderung. Dafür Atmosphären zu schaffen: Das haben wir durch die Bühnenbildidee eines sich in unzählige Orte und Landschaften verwandelnden Tuches hergestellt. Und natürlich mit Musik.

Jojo Büld: Genau. Und die funktioniert auf mehreren Ebenen: Als Sounddesign um Stimmungen zu erzeugen, die die Härte und Brutalität der Geschichte hörbar machen und den spannungsgeladenen Krimi bedienen. Und dann haben wir Live-Songs, die die Empfindung junger Frauen ausdrücken und aus deren Perspektive die Geschichte weitererzählen. Es sind Songs, die Simone geschrieben hat und ich vertont habe. Aber wir haben auch Lieder eingebaut, die etwas mit den Orten und mit der Zeit zu tun haben, die szenisch gerade wichtig ist. Ukrainische Stücke zum Abtanzen in einer Bar, Volkslieder bei einer Benefizveranstaltung oder Pop-Songs aus den 90ern, in denen sich der Aufbruch in eine neue Welt spiegelt. Lieder voll Wut, Lebenslust und einer ganz starken Sehnsucht.

LM: Diese Lieder werden von einer Band aus vier jungen Gießenerinnen interpretiert – Marie Shuta, Dasha Bilenko, Erika Ehberger und Kate Bilenko, die sich eigens für „Hundepark“ so zusammengefunden haben. Wie kam es zu der Idee, eine Band neu zu gründen?

Jojo Büld: Unsere Frauenband. Mit der kommt ganz viel jugendliche Energie an den Start. Die Verheißung, die junge Frauen vielleicht dazu bringt in „die Branche“ zu gehen, lassen sich durch Musik einfach am besten erzählen. Und die Mädels sind super!

Simone Sterr: Um diese Energie ging es mir hauptsächlich. Ich las den Roman und dachte: Die Kraft, mit der junge Frauen ihr Glück suchen, die Unbedingtheit wie junge Frauen ihren Weg verfolgen, das muss bei diesem Buch auf die Bühne. Das geht nur mit Musik. Und so war die Idee einer Band aus jungen Frauen geboren. Ich habe sie mit Jojo geteilt und dann haben wir losgelegt. In musikalischen Workshops haben wir Kate, Dascha, Marie und Erika gefunden. Sie haben parallel zu meinen szenischen Proben mit Jojo Musik gemacht, sind zu einer Band und Teil des Ensembles geworden.

LM: „Hundepark“ ist nicht eure erste gemeinsame Arbeit. Gibt es so etwas wie Routinen in eurer Zusammenarbeit? Wie seid ihr vorgegangen?

Simone Sterr: Zwei Lieder sind für den Abend von mir getextet und von Jojo vertont. Das haben wir schon sehr oft zusammen gemacht, da sind wir eingespielt. Der Rest sind Kompositionen von Atmosphären, Sounds und Arrangements. Ich würde in unserer Zusammenarbeit nie von Routine sprechen. Vertrauen trifft es schon eher. Wir vertrauen einander. Ich kann Jojo gut vermitteln, was ich höre oder was ich gerne hören möchte, und er setzt das dann auf seine Weise in musikalische Ideen um; und ich mag es sehr, wie er mit den Menschen umgeht. Wenn ich szenisch nicht weiterkomme, ist es immer gut eine musikalische Probe mit Jojo anzusetzen. Das hebt die Stimmung und löst so manchen Knoten …

Jojo Büld: Ich tue mein Bestes. Wir arbeiten halt auch schon sehr lange zusammen und versuchen bis zum Schluss dranzubleiben. Es gab einen Sound, an dem habe ich noch bis kurz vor der Premiere gefeilt, weil wir einfach noch nicht zufrieden waren. Aber das fühlt sich – auch wenn es am Ende manchmal etwas rundgeht – alles nicht so richtig nach Arbeit an, sondern nach Spaß.

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