Zwischen Zweifel und Hoffnung
Hauschoreograf Constantin Hochkeppel und Komponist Marco Mlynek im Gespräch mit der Dramaturgin Caroline Rohmer über die Arbeit an der Einsamkeit für das neue Tanz x Physical Theatre-Stück „In the end, I was somehow expected in this world“.
Caroline Rohmer: „In the end, I was somehow expected in this world“ – Was assoziiert ihr mit diesem Titel?
Constantin Hochkeppel (CH): Für mich spricht er eine Hoffnung aus, die einen Zweifel erstickt, dass man als Mensch im eigenen Umfald angenommen ist. Es berührt mich über diese Sehnsucht nachzudenken, dass das eigene Dasein in dieser Welt eine Bedeutung hat.
Marco Mlynek (MM): Dem schließe ich mich an. In ihm liegt die schöne Einfachheit eines kindlichen Urvertrauens. Und gleichzeitig hört man aus diesem Satz heraus, dass es lange braucht – vielleicht ein ganzes Leben – um zu dieser sehr wichtigen Erkenntnis zu kommen. Man musste bis dahin öfter die Erfahrung machen, dass man nicht erwartet und aufgenommen wurde. Das Lebensende und die Rückschau auf das Leben sind in diesem Titel sehr präsent. Es ist eine Reflexion auf die gelebte Existenz.
Foto: De-Da Productions
Was hat dich, Constantin, an dem Thema Einsamkeit interessiert?
Ich fand die Diskrepanz spannend zwischen einerseits dem Gefühl und dem Bedürfnis, etwas zu ändern, und auf der anderen Seite die Überforderung und das Unvermögen. Das ist dann schon ein Stadium von sehr lange andauernder Einsamkeit, in der man die eigenen sozialen Fähigkeiten, ja sogar sich selbst als Mensch – die eigene körperliche Anwesenheit – in Frage stellt und das Gefühl hat, die anderen nicht mehr richtig lesen zu können. Man ist wie in einem Limbo gefangen, einem sich selbst verstärkenden Kreislauf. Mich interessieren choreografisch das daraus entstehende Gefühlschaos sowie das Bild, dass man sich deplatziert und nicht willkommen fühlt und dass man sich wappnen und schützen muss, um sich nicht verwundbar zu zeigen. In der Choreografie spielt deshalb Kleidung eine große Rolle, das an- und ausziehen, und im Kontrast dazu die nackte, schutzlose Haut.
Auch in deinen früheren Tanz x Physical Theatre-Arbeiten hast du immer mit Text gearbeitet: als Wortfetzen im Sound oder angebunden an Figuren, als Lip-Synch oder live gesprochen. Bei diesem Stück ist der Zugriff spezieller. Wir hören eine gleichbleibende Stimme im Voice-Over, die keiner der Figuren auf der Bühne eindeutig zugeordnet ist. Eingesprochen wurde es von unserer Schauspielkollegin Carolin Weber. Es scheint sich um einen inneren Monolog zu handeln, der uns durch das ganze Stück begleitet und der immer wieder von der Perspektive einer Figur zur nächsten wandert. Am Ende deutet sich an, dass die Figuren auf der Bühne eigentlich zusammengehören und dass es in dem Sinne eine gemeinsame, geteilte Stimme ist. Kannst du nochmal rekapitulieren, wie es zu diesem Zugriff kam?
CH: Mir war es wichtig mit konkreten Figuren zu haben, die alle auch eine eigene Hintergrundgeschichte haben, sodass wir also intern wissen, wo sie herkommen und in welchem Zustand sie sich befinden, welche Ausprägung von Einsamkeit sie beschäftigt. Es macht mir Spaß zu sehen, wie die Tänzer*innen sich die Freiheit nehmen, ihre Figur kontinuierlich zu entwickeln und sich dadurch Geschichten und Situationen ergeben, die ich selbst nicht vorausgesehen habe. In diesem Sinne sollte eigentlich viel mehr live gesprochener Text auf der Bühne auftauchen. Es gab dahingehend dann sowohl praktische als auch künstlerische Einflüsse auf die Entwicklung der Arbeit. In der Umsetzung ist Live-Text bei uns etwas kompliziert, weil man in der Regel mit Mikroports verstärken muss, und das hindert dann beim Tanzen, je nachdem, wie physisch die Choreografien gebaut sind. Zudem übersetzen wir den englischen Text, den das Ensemble entwickeln und sprechen kann, immer auf Deutsch in den Übertiteln, was bei einer bestimmten Menge auch irgendwann sehr mühsam für das Publikum ist.
Auf der anderen Seite haben wir in langen Improvisationen mit dem Ensemble herausgefunden, wie spannend es zum einen ist, nacheinander immer wieder in Situationen der Figuren und in ihre Gespräche einzutauchen, dass es dafür aber einen Rhythmus braucht, der das Zeitgefühl verschwinden lässt. Das dehnt den Abend tendenziell auch sehr viel länger aus. Indem wir über die Figuren nachdachten und sie in Verbindung zueinander brachten, fiel auf, dass sie auch wie die Fragmente einer Persönlichkeit gelesen werden können. Die Kneipe ist also nicht nur ein realer Ort sondern entwickelt sich zu einer Innenwelt, in der sich diese Persönlichkeitsanteile begegnen und unweigerlich miteinander auseinandersetzen müssen. So erschien es uns sinnig, dass wir eine Stimme hören die spricht und dabei die verschiedenen Erfahrungen vereint. So entstand dann auf der Grundlage von Schreibimprovisationen der Text.
Foto: De-Da Productions
Er schärft die Wahrnehmung für bestimmte Situationen in Szenen, in denen simultan sehr viel passiert.
CH: Ja, denn trotzdem agieren die Tänzer*innen in ihren Charakteren auf der Bühne parallel immer noch autark in ihrer jeweiligen Storyline. Es existieren also beide Welten zugleich. Von außen betrachtet ist der Text aber auch ein Mittel in einer Art verbindendem Überbau, trotz der Komplexität des Themas, über Einsamkeit sprechen zu können.
Es gibt eine Figur im Stück – getanzt von Alexandre Nodari – die die Erfahrung von Einsamkeit und die damit zusammenhängenden, ambivalenten Gefühle verkörpert und im Tanz emotional vermittelt. In der Sprache wird dies auf andere Weise nochmal geschärft und in einen Kontext gesetzt: von der alltäglichen Erfahrung hin zum Blick auf die eigene Existenz an sich.
Ein herausragendes Merkmal des Abends ist die Livemusik vom Philharmonischen Orchester Gießen, die nahezu nahtlos verschmilzt mit den vorproduzierten Kompositionen von dir, Marco. Das Stück beginnt musikalisch mit einer deiner Kompositionen und endet mit dem Orchester und dem Werk „Passion“ von Erkki-Sven Tüür. Die Musik von dir ist nicht nur ein Teil des Abends, sondern verbindet alle Orchesterstücke miteinander. Wie bist du vorgegangen?
MM: Im Vorfeld, bevor die Auswahl der Orchesterstücke von euch feststeht, mache ich mir schon Gedanken über Stimmungen und Atmosphären. Wenn dann das Material und die Reihenfolge für das Orchester gesetzt sind spüre ich die Räume auf, die sich für mich darin auftun. Das sind Übergänge zwischen den Stücken oder auch ganze Szenen die sich in der Probenarbeit entwickeln und keinem der Orchesterwerke zugeordnet sind. Das ist tatsächlich eine sehr dankbare, kreative Collagearbeit. So bin ich auch bei unserer letzten Zusammenarbeit für „Am Ende“ vorgegangen. Diesmal gingen wir aber noch einen Schritt weiter. Diesmal wagen wir innerhalb eines der Stücke einen Transfer vom Orchestergraben auf die Soundanlage mit Technobeat, und wieder zurück in den Graben.
Ich kann mich mit meinen Kompositionen sehr kontrastreich absetzen zum Orchester, das mit den Werken starke Statements setzt. Dagegen erforsche ich auch andere, subtilere Klangwelten und Soundlandschaften, in die die Livemusik dann auch bewusst wieder reingrätschen und das aufbrechen kann.
An anderen Stellen gibt es aber auch Ähnlichkeiten. Gerade die Sätze des „Concerto Grosso Nr. 1“ von Alfred Schnittke bestehen aus vielen Ebenen, und es folgen viele verschiedene Stile und Bilder in schnellen Schnitten aufeinander. Das Prinzip der abrupten „Szenenwechsel“ und die Schichtung von Ebenen nutze ich auch für meine eher soundbasierten Stücke und das ist dann auch in der Choreografie zu sehen. Da verändern sich realistische Soundkulissen von Alltagsgeräuschen hin zu einer Traumlogik und kommen dann wieder zurück in die harte Realität. Da ich während der Proben fortwährend die Kompositionen weiterentwickle und verfeinere, und dabei auch immer wieder die Orchesterstücke höre, entsteht auf organische Weise ein eng vernetztes Verhältnis der Musiken zueinander.
CH: Es hat sich in der Probenarbeit so entwickelt, dass die Orchesterwerke eher innere, emotionale Zustände erforschen oder den Blick auf das Thema Einsamkeit auf eine Metaebene heben. Im Kontrast dazu machen Marcos Kompositionen vor allem im ersten Akt des Stücks die Realität des Raumes hörbar, die dann aber auch immer mehr verschoben wird. Man springt dann über den Sound in die Wahrnehmung der einzelnen Figuren rein, und da deuten sich dann Gedankenkreisen als Wiederholungen oder Gedankensprünge wie Zeitsprünge an. In dieser Soundwelt ist auch immer wieder die Stimme des Voice-Over zu hören, die wie aus einer bestimmten Perspektive auf die Realität spricht.
MM: Zum Ende des Abends gibt es nochmal einen längeren Abschnitt mit einer Komposition von mir mit minimalistischer, atmosphärischer Musik. Sie erzählt einen sehr innerlichen Moment, eine Art Erinnerung oder Traumvorstellung. Damit spannt sich insgesamt ein Bogen meiner Arbeit vom Äußeren hin zu einer innerlichen Erfahrung, und das schließt dann an die Orchesterstücke wieder an.
Foto: De-Da Productions
In der angesprochenen letzten Zusammenarbeit zu Beginn der Spielzeit 2024/25 – dem Tanz x Physical Theatre-Stück „Am Ende“, gemeinsam auch mit dem Philharmonischen Orchester – ging es auch um Hoffnung, ganz konkret im Angesicht der Hoffnungslosigkeit beim Zustand unserer Erde. In „In the end …“ wird Hoffnung weitergedacht, aber diesmal geht es vor allem um das individuelle Leben in Bezug auf Gemeinschaft.
CH: Ich sehe durchaus auch Ähnlichkeiten in der Herangehensweise. Mich interessiert das Stilmittel des Wiederholens und „Zurückspulens“ um über parallele und alternative Realitäten nachzudenken. Aber auch thematisch merke ich, dass mir immer daran gelegen ist, über geteilte Zugehörigkeit und Verantwortung nachzudenken und auch über unsere Endlichkeit.
MM: Ich beobachte, dass immer Szenen eine besondere Rolle spielen, in denen nicht mehr konkret getanzt oder als Figur gespielt wird, sondern „einfache“ Handlungen miteinander passieren. In diesen Situationen soll der Sound umso mehr dem Moment dienen, nicht in den Vordergrund rücken, sondern Offenheit und Weite erzeugen. In „In the end …“ ist es die Szene, die wir „Ritual of Care“ genannt haben. Es entstehen Bilder mit einer großen Kraft und Poesie, die ganz subtil etwas über unsere Menschlichkeit erzählen, und unserer körperlichen Präsenz gemeinsam im Raum eine Bedeutung geben. Das finde ich auch für den Prozess der Zusammenarbeit sehr berührend.
CH: Ich brauche im Arbeitsprozess das Vertrauen, diese fragilen Momente auf der Bühne für sich stehen zu lassen. Ich schätze sie sehr in ihrer Einfachheit: Umarmungen, halten, ein Kuss auf die Stirn, sich fallen lassen können. Ich wünsche mir, dass das Publikum am Ende des Abends das an sich heranlassen kann.
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