Mit Freude auf Risiko gehen

Ein Porträt über Asia Safikhanova, Soloflötistin im Philharmonischen Orchester Gießen.
Von Christian Förnzler

Wie immer ist Asia Safikhanova gut gelaunt und strahlt eine Energie und Sympathie aus, die einen sofort einnehmen, als ich sie an einem grauen Freitagnachmittag im Foyer des Stadttheaters zum Gespräch treffe. „Es gibt Monate im Jahr, in denen so viele Projekte auf einmal auf einen zukommen, und dann wird es auf einmal wieder ganz still und man hat viel Zeit“, erzählt sie zu Beginn. Anlass unseres Gesprächs sind die nächsten beiden Konzerte von Asia Safikhanova, das 2. Kammerkonzert und das 4. Sinfoniekonzert am Stadttheater. Bei beiden Konzerten wird die junge Flötistin prominent in Erscheinung treten.

Seit 2022 ist sie festes Mitglied im Philharmonischen Orchester. Nach Gießen kam sie über Umwege. „Ich habe an der HfMDK in Frankfurt studiert. Parallel zum Studium habe ich 2019 eine Stelle am Theater Rudolstadt bei den Thüringer Symphonikern bekommen. Wegen der Corona-Pandemie war mein Studium unterbrochen und mein Konzertexamen wurde zweimal verschoben. Mit dem Jungen Podium hier am Stadttheater hat man als Studierende die Möglichkeit, gemeinsam mit dem Philharmonischen Orchester sein Konzertexamen zu spielen. Glücklicher Weise durfte auch ich so mein Studium abschließen und hier in Gießen das moderne Flötenkonzert von Carl Nielsen spielen. Dass hier in Gießen auf einem solchen Niveau so komplizierte Werke musiziert werden, war mir vorher nicht bewusst. So haben wir uns kennengelernt.“ Ganz bescheiden berichtet sie weiter, wie Musiker*innen aus dem Orchester während der Proben zum Examenskonzert auf sie zugekommen seien und angeregt hätten, ob sie nicht das Probespiel für die Stelle der Soloflöte bestreiten wolle. „In Rudolstadt war ich nur für 75% angestellt, bin momentan aber in einer Phase, in der ich mehr spielen möchte. Dort war es zu ruhig für mich. Der Wechsel nach Gießen erschien mir sehr attraktiv. Dass es geklappt hat, hat mich sehr gefreut.“

Asia Safikhanova stammt aus Moskau. An der Gnessin-Schule erhielt sie zwischen 5 und 18 Jahre eine systematische musikalische Schulbildung. Dort werden Instrumente von Anfang an und von Grund auf erlernt. „Ich habe meine Mutter nie in Ruhe gelassen, habe immer getanzt und war ein sehr musikalisches Kind. Bei der Aufnahmeprüfung an der Gnessin-Schule hat man mir dann einfach eine Flöte in die Hand gedrückt. Mit fünf konnte ich nicht viel in meinem Leben entscheiden, aber die Flöte hat mir von Anfang an sehr Spaß gemacht.“

Vier Jahre lang war sie Mitglied des Orchesters „Musica Aeterna“ unter der musikalischen Leitung von Teodor Currentzis. „Das ist so ähnlich passiert wie hier in Deutschland“, erzählt sie lachend. „Ich habe am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau studiert und zufällig habe ich dort im Orchester eine Stelle bekommen. Kurzfristig bin ich bei einem Programm mit Johann Sebastian Bachs 5. Brandenburgischen Konzert eingesprungen – im letzten Moment, zwei Tage vorher. Anschließend kamen mehrere CD-Aufnahmen mit Musik von Rameau oder Strawinskys „Le Scare du Printemps“ und Konzertreisen ohne Ende. Unter anderem zu den Salzburger Festspielen oder dem Lucerne Festival. Das war eine Zeit in der ich auf den unterschiedlichsten Flöten gespielt habe und meinen eigenen Horizont erweitern konnte.“ Zu diesem Zeitpunkt ist Asia Safikhanova gerade einmal 22 Jahre alt. Doch sie wollte weiter studieren und gab die Stelle bei „Musica Aeterna“ auf. „So kam ich nach Deutschland. Auch aus politischen Gründen bin ich aus Russland weg. 2014 annektierte Russland die ukrainische Krim. In der Gesellschaft gab es eine große Diskrepanz und ich wollte selbst entscheiden auf welcher Seite ich stehen möchte. Alle meine persönlichen, künstlerischen und politischen Gründe sind auf einmal zusammengekommen und ich habe mich dazu entschlossen auszuwandern.“

Über die Zeit bei „Musica Aeterna“ und den dortigen Kolleg*innen sei sie sehr dankbar. Auf die Frage, was sie an ihrem dortigen Zuhause und der Zeit in Russland vermisse, sagt sie: „Die Menschen. Es gibt Musiker auf der Welt, die absolut unersetzbar sind. Manchmal findet man in seinem Leben etwas wie die perfekte Zusammensetzung eines Parfüms, das einfach passt, das dein eigenes Ding ist. Auch bei Musikern ist das häufig der Fall: Das Instrument, der Klang, die Persönlichkeit eines Menschen; manchmal kommt das alles zusammen und passt. Deshalb ist es schön sich daran zu erinnern. Man begegnet Menschen und verabschiedet sich auch wieder von ihnen – das ist ein schöner Schmerz. Auch hier in Deutschland im Orchester habe ich viele tolle Kollegen und Menschen kennengelernt, mit denen ich neue Seiten im Buch meines Lebens aufschlage.“ Dass ihr auch Deutschland eine musikalische Heimat geworden ist, freut sie sehr. „Ich habe hier meine Gurus der Flöte getroffen, die mir auch meinen Horizont erweitert haben, wie mein Professor in Frankfurt. Ich lerne immer noch und kann Menschen wie Thaddeus Watson, Karl Kaiser oder Martin Sandhoff oft zurate ziehen, wenn ich mir unsicher bin.“

Insgesamt neun Flöten kann Asia Safikhanova ihr Eigen nennen. An der Frankfurter Musikhochschule studierte sie außerdem im Master „Historische Aufführungspraxis“ und machte sich mit den historischen Flöten vertraut. Dabei leitet sie immer eine große Neugierde: „Ich arbeite sehr gern mit diesen unterschiedlichen Instrumenten. Ob sie aus den 50er Jahren stammen oder aus dem 19. Jahrhundert: Ich überlege immer wie man die beste Resonanz erreichen kann. Die unterschiedlichen Flöten den jeweiligen Epochen und Ländern zuzuordnen ist eine nie langweilig werdende Recherche.“

Das nächste Mal konzertiert Asia Safikhanova beim 2. Kammerkonzert am 28. Januar. Das erste Konzert am 21. war bereits ausverkauft. Es erklingen Flötenquartette von Wolfgang Amadeus Mozart und Ferdinand Ries sowie das Quintett für Querflöte und Streichquartett von Vasiliy Antipov, eine Komposition aus dem Jahr 2022, die Asia Safikhanova zugeeignet ist. Am 30. Januar wiederum ist sie im Duo mit dem Frankfurter Flötisten Yat Ho Tsang im Rahmen der „Mittagskonzerte“ im Hermann-Levi-Saal des Rathauses zu Gast. Hier präsentiert sie eine Auswahl ihrer Flötensammlung, durch alle Epochen hindurch mit ihren jeweils unterschiedlichen Klangfarben. „Womöglich gab es in Gießen ein solches Konzert noch nicht, bei der man die ganze Bandbreite der Flöte erleben kann“, sagt Asia Safikhanova.

Bei ihrer künstlerischen Praxis leitet Asia immer wieder ihre Offenheit für Experimente. Diese Offenheit präsentiert sie auch beim 4. Sinfoniekonzert am 21. und 22. Februar. Dort spielt sie Beethovens Violinromanze Nr. 2 F-Dur in einer Bearbeitung für Flöte und Orchester. „Beethovens Violinromanze habe ich noch nie auf der Flöte im Konzertsaal mit Orchester erlebt. Ich weiß nicht, ob ich die erste bin, oder ob das schon jemand gemacht hat. Es ist eine sehr spannende Idee, das einmal auszuprobieren und eine sehr kreative Aufgabe für alle Beteiligte. Wenn man ein bekanntes Repertoirestück spielt, wissen alle, wie es zu klingen hat. Alle haben es geübt und schon mehrfach gespielt. Aber wenn die Kolleginnen und Kollegen ein solches Solostück begleiten und vorne steht ein anderes Solo-Instrument als ursprünglich vorgesehen, dann muss man sehr aufmerksam spielen. Die Flöte hat eine andere Klangfarbe, eine andere Resonanz im Vergleich zur Geige und eine andere Phrasierung ist notwendig. Man muss den Schlüssel zu dieser Musik finden. Auf diesem Weg entdeckt man etwas, etwas Schönes. Mein Ziel dabei ist, einen solchen Klang, solche Farben zu finden, die mein Instrument und das ganze Orchester aufblühen lassen. Ohne diese Aufgaben kann man diesen Weg nicht gehen. Eine kreative Aufgabe für mich, für das Orchester und den Dirigenten, der die Balance herstellen muss. Ich gehe mit Freude auf Risiko, aber ich freue mich darauf!“

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