Die Kids sind immer noch super!

Martin Gärtner, Leiter des Kinder- und Jugendchors seit 1997, im Gespräch mit Ann-Christine Mecke.


Wie kam es dazu, am Stadttheater einen eigenen Kinder- und Jugendchor zu gründen?

Das war 1997, der damalige Intendant Guy Montavon wollte einen Kinderchor, und da ich gerade wieder zurück nach Gießen gekommen war, wurde ich gefragt. Unsere erste Opernproduktion war „Werther“ von Massenet. Der Chor ist sehr schnell gewachsen und wurde eine feste Größe im Theater; bald kamen „Tosca“ und „Hänsel und Gretel“. Von Anfang an konnten wir auch Solorollen immer aus dem Chor heraus besetzen. Parallel zu den Opern haben wir Konzertrepertoire erarbeitet, mein Ziel bei Gründung des Chors war, „A ceremony of carols“ aufzuführen. Das haben wir dreimal komplett gemacht, Auszüge werden auch beim Konzert am 9. Dezember 2023 zu hören sein.

Du hattest zuvor vor allem mit erwachsenen Profis gearbeitet. War die Arbeit mit den Kindern eine große Umstellung?

Eigentlich nicht. Ich arbeite mit den Kindern nicht viel anders als mit Erwachsenen, ich mache keine „kindgerechten Übungen“ oder Ähnliches. Ich habe immer darauf gehört, was von den Kindern kommt und dann versucht, diesen Klang weiterzuentwickeln. Meine Erfahrung ist, dass Kinder in dieser Weise gefordert werden wollen, dass es ihnen dann besonderen Spaß macht. Außerdem habe ich mich daran erinnert, wie ich singen gelernt habe: durch gute, stimmgesunde Vorbilder, ganz frei und natürlich.

An welche Produktionen erinnerst du dich besonders gerne?

Die reinen Kinderchor-Produktionen im TiL, später im taT, waren immer Highlights für uns. 2003 ging es los mit „Der kleine Schornsteinfeger“, anfangs habe ich auch noch Regie geführt. Später kam auch noch die Kooperation mit der Städtischen Musikschule hinzu, dadurch hatten wir dann auch ein Instrumentalensemble. Ein weiteres Highlight war das Musical „Oliver!“, in dem der Kinder- und Jugendchor eine Hauptrolle spielte, außerdem war die Titelpartie von uns dreifach besetzt.

Als ich die Kinder während der Aufführungen von „Ein Sommernachtstraum“ besucht habe, war ich auch beeindruckt von dem sozialen Miteinander: Die Großen passen auf die Kleinen auf, ein Mädchen setzte sich ans Klavier, um den nächsten Einsatz nochmal mit den anderen zu üben … Förderst du das gezielt oder kommt das von allein?

Das kommt von allein, wenn man im Chor singt. Ich bin manchmal selbst erstaunt! Ich habe auch oft tolle Entwicklungen beobachten dürfen: Jungs, die eine schöne Stimme hatten, aber als schüchterne Außenseiter in den Chor kamen und ihn ein paar Jahre später mit gesundem Selbstbewusstsein und einer ganz anderen Körperhaltung wieder verlassen haben. Gerade Kinder, die als „problematisch“ gelten, entwickeln sich in der Chorgemeinschaft oft toll.

Was hat sich in den letzten 26 Jahren in deiner Arbeit verändert?

In der Anfangszeit haben wir viel mehr proben können – je mehr, desto besser. Die Kinder hatten zwar oft auch andere Hobbys, haben aber alles stehen- und liegengelassen für den Kinderchor. In den letzten Jahren ist die Belastung durch die Schule viel größer geworden. Die Kinder sind gestresster, auch durch soziale Medien und manche durch die Vielfalt ihrer Verpflichtungen. Sie kommen zwar immer noch mit Begeisterung in den Chor, aber es kostet sie viel mehr Kraft. Das merke ich deutlich. Ich würde sogar sagen: An den Chorkindern sehe ich, was in unserer Gesellschaft falsch läuft.

Musstest du dadurch deine Ansprüche verändern?

Die Kids sind immer noch super und sehr leistungsfähig! Es gibt auch immer noch viele, für die der Chor einen riesigen Stellenwert hat, dem sie andere Dinge unterordnen. Und während sie in manchen Bereichen durch die Schule und die Welt überfordert werden, sind sie an anderer Stelle auch unterfordert. Musikalisch darf man ihnen viel zutrauen! Sie können sich auch sehr professionell und diszipliniert verhalten, wenn es darauf ankommt.

Was wünscht du dem Kinder- und Jugendchor für die Zukunft?

Dass die Kinder weiterhin mit so viel Freude auf die Probe und auf die Bühne gehen!


Martin Gärtner begann seine Arbeit am Stadttheater Gießen 1992-1994 als Chordirektor und Kapellmeister. Nach drei Jahren als Studienleiter und Kapellmeister in Koblenz kehrte er nach Gießen zurück und übernahm als Freiberufler die Gründung und Leitung des Kinder- und Jugendchors. Inzwischen hat er neben seinen vielfältigen musikalischen Projekten eine feste Stelle als Dozent für Sing- und Ensembleleitung, Korrepetition und Klavier an der Universität Gießen.

Dem Publikum des Stadttheaters ist er nicht nur als Kinderchorleiter, sondern auch als Moderator zahlreicher Kinderkonzerte bekannt, vor allem aber durch seine Solo-Abende „Ödipus“ und „Antigone“. „Ödipus“ lief über sieben Spielzeiten und kam auf 85 Vorstellungen, „Antigone“ stand drei Jahre lang auf dem Spielplan des Stadttheaters. Ende Dezember gibt er die Leitung des Kinder- und Jugendchors auf eigenen Wunsch ab, bleibt dem Stadttheater jedoch verbunden.

Im Konzert „Auf Wiedersehen, Martin Gärtner“ präsentiert der aktuelle Kinder- und Jugendchor mit seinen Ehemaligen eine Auswahl seines Repertoires. Auf dem Programm stehen u.a. das „Sister Act Medley“, Ernst Tochs „Fuge aus der Geographie“ und Auszüge aus Benjamin Brittens „A ceremony of carols“.

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