Von Verwandlung und Identität

Die neue Crossover-Produktion „The Addams Family“, ein Musical von Andrew Lippa, feierte am 1. November 2025 am Stadttheater Gießen Premiere. Hier treffen mehrere Sparten und die verschiedenen Ensembles des Hauses auf und hinter der Bühne zusammen und kreieren einen Abend voller Spiel, Witz, Musik, Gesang, Tanz mit allem, was das Theater an Technik und Bühnenzauber zu bieten hat. Dazu zählen auch aufwendige Kostüm- und Maskenbilder, die die Spielenden auf der Bühne in ihre unterschiedlichen Figuren schlüpfen lassen. Dramaturg Leonard Lampert spricht mit der Kostümbildnerin der Produktion, Kristin Buddenberg, darüber, was den Zauber all dieser Kostümbilder ausmacht.

Leonard Lampert: Du arbeitest im Theater sowohl als Bühnenbildnerin als auch als Kostümbildnerin. Oft beides zusammen, aber auch in getrennten Funktionen wie beispielsweise jetzt bei „The Addams Family“, wo du für die Kostüme verantwortlich bist. Wie gehst du an die Konzeption eines Kostümbildes für ein Theaterstück heran? Inwiefern unterscheidet sich die Herangehensweise zur Arbeit an einem neuen Bühnenbild?

Kristin Buddenberg: Ich glaube, der Unterschied ist vor allen Dingen, dass der Körper oder die Figur im Kostümbild noch näher an seinem Ausgangspunkt ist, als bei der Bühne. Wenn man beides macht, ist es natürlich auch Teil des Ganzen. Und auch, wenn man, wie bei „Addams Family“ nur Kostüm macht, muss man dafür sorgen, dass es am Ende im Gesamtbild groß erscheint.

Andererseits kann man sich so inspirieren lassen, was der Raum anbietet, und denkt sich dann weiterführend etwas dazu aus, was im besten Fall bestimmte Dinge noch ein wenig hervorhebt und komplettiert. Man versucht den Eindruck einer „gesamten Welt“ im Blick zu behalten. Und das kann natürlich sehr inspirierend sein, da mit jemandem zu kooperieren, der*die einen anderen Blick und Ideen hat, auf die man alleine nicht gekommen wäre.

Bei den Figuren in einem Theaterstück kann die Körperlichkeit der Schauspieler*innen und Performer*innen eine sehr große Rolle spielen. Gibt es hier bestimmte Dinge, die du im Kopf behältst, wenn du die Kostüme entwirfst, oder verändern sich da auch Punkte im Laufe des Probenprozesses?

Das ist immer eine Sache, über die man sich Gedanken macht, weil immer die Spielfreude im Kostüm beibehalten werden soll. Gleichzeitig ist Teil der Überlegung, dass gewisse Einschränkungen das Spiel einer Figur auch verstärken können. Gerade bei einem Stück, das auf einem Comic beruht, haben wir nach dieser comichaften Überzeichnung regelrecht gesucht.

Wir haben probiert, die Körperlichkeit so zu verändern, dass die Spielenden näher in eine „Comicfigur“ kommen und sich die Körperformen durch das Kostüm verändern: Runder werden, eckiger werden, größer werden, die Unterschiede verstärken. Da kann man herrlich in die Trickkiste vom Theater greifen. Das Stadttheater Gießen hat eine tolle Schneiderei, wodurch man die Möglichkeit hat den Körper der Figuren „anzupassen“. Und ich empfinde es auch als großes Glück, dass das Ensemble in dieser Form der Kostüme so große Spielfreude entwickelt hat. Wir haben oft gemeinsam etwas gefunden, das zu der Figur passt. Beispielsweise, dass Morticia regelrecht über den Boden gleitet und schwebt und grazil läuft und es entsprechend gut passt, wenn ihre Schuhe so hoch sind. Oder dass Lurch sehr langsam ist und gewisse Einschränkungen durch sein Kostüm die Komik der Figur mit verstärken können. Dies muss natürlich in einem Maß sein, das die Spielfreude begünstigt und nicht einschränkt, damit man nicht das Gefühl hat, man kann seine Figur nicht finden. Das Kostüm soll immer eine Verstärkung sein von dem, was schon da ist.

„Morticia Addams“, Skizze von Kristin Buddenberg

„Morticia Addams“, Skizze von Kristin Buddenberg

Die Addams Family kann, gewissermaßen als eine Art „Geschichte der Adaptionen“ gesehen werden. Besonders, da heute viele Interpretationen und Adaptionen in Filmen, Serien und Animationen existieren, die einander zitieren, weiterentwickeln, oder auch etwas komplett Neues dazuerfinden. Wie sah dein Umgang mit dem bisherigen Kostümmaterial der Addams Family aus?

Ich habe mir erstmal richtig viel angeguckt, weil das einfach super viel Spaß macht. Das sind absurde Charaktere, die sich auch weiterentwickelt haben. Ich würde sagen, ich habe mich der Tradition bedient, mich auch inspirieren lassen von dem, was schon da war, aber mich darauf fokussiert das so anzupassen, wie es jetzt, für uns, funktioniert.

Ich würde sagen, wir haben probiert, diese Grundästhetik, die doch trotz vielfältiger Adaptionen in irgendeiner Form vorliegt, weiterzuführen. Gleichzeitig wollten wir uns darin auch Freiheiten nehmen und Dinge ausprobieren. Das ist einerseits ein klar abgesteckter Rahmen, aber in dem wiederum kann man sich total austoben.

„The Addams Family“ ist auch ein Stück über das Thema „Familie“. Es stellt die Frage, wie wir einander lieben, trotz unterschiedlicher Herkünfte oder Sozialisierungen und fragt auch nach Normalität in unserer heutigen konventionellen Gesellschaft. Kostüm und Maske können hier die Individualität von Menschen unterstützen und dann sozusagen auch Gemeinsamkeiten und Familie schaffen. Was denkst du, wie Kostüm und Maske im Stück zusammenspielen, um diesen Familiencharakter hervorzuheben?

Die Ahnen zum Beispiel sind ja sozusagen die erweiterte Familie der Addams. Durch das Kostümbild sehen sie alle so aus, als wären sie aus Schwarz-Weiß-Fotos entsprungen. Damit haben wir eine Gruppe von Menschen, die durch eine bestimmte Farbwelt zusammengehört. Und diese Farbwelten findet man auch bei den Beineckes und den Addams. Die Addams tragen keine Farben. Sie definieren sich als Gruppe in „gothic-schwarz“. Und dann ist es total krass, wenn auf einmal jemand beschließt, etwas Anderes anzuziehen und sich damit von der Familie abwendet. So empfinde ich das gelbe Kleid, für das sich Wednesday später entscheidet. Da steht das gelbe Kleid ja nicht nur für das Kleid an sich, sondern auch dafür, dass sie beginnt, sich für ihre Familie zu schämen und sich wünscht, dass sie „normal“ wären. Wovon will man loskommen und ist da eine Sehnsucht, als die Person gesehen zu werden, die man sein möchte? Die Beineckes stehen im Kontrast zu den Addams und sind eher die farbenfrohen, scheinbar „normalen“ Leute aus der Vorstadt. Am Ende geht es bei beiden Seiten darum, sich zu fragen, wer man sein will und wer man auch für seine Kinder sein möchte.

Ich würde sagen, dass es auch um Weiterentwicklung geht: Man muss nicht bleiben, wie man ist, sondern kann sich verändern und darf sich verändern und man gehört aber trotzdem noch dazu – obwohl man vielleicht lieber ein gelbes Kleid tragen möchte.

Opernchor zusammen mit Nils Eric Müller als "Fester", links; Jessica Trocha und Max Koltai als „Wednesday“ und „Lucas“, rechts © Christian Schuller

Opernchor zusammen mit Nils Eric Müller als "Fester", links; Jessica Trocha und Max Koltai als „Wednesday“ und „Lucas“, rechts © Christian Schuller

Du hast ja gerade schon über die Beinekes, das Gegenstück der Addams Family, gesprochen. War es hier für dich schwierig, dieses „bürgerlich“, „einfach“, „normal“ in den Kostümen einzufangen? Wie die Frage schon sagt, was ist normal?

Am Ende habe ich das Gefühl, dass sie auch irgendwie „unnormal“ sind. Es kommt bei ihnen nur ganz anders heraus. Also das allgemeine Mittel von „Überzeichnung“ wollte ich auch in deren Kostümen beibehalten. Mir war wichtig, dass es einen Kontrast gibt. Aber trotzdem: In der Welt dieses Musicals sind deren Kostüme mit ähnlichen Mitteln in einer Verspieltheit gehalten.

Wie würdest du diese beiden Familien in den Gemeinsamkeiten und Unterschieden ihrer Kostüme beschreiben? Es gibt ja auch Übergänge, wo sich beide Familien treffen.

Ich glaube, bei beiden Familien ist vor allem die Farbenwelt, aber auch die Materialität jeweils eine andere. Gleichzeitig sind sie sich auch manchmal ähnlicher, als sie denken. Zum Beispiel haben beide Männer, Ben Janssen, der Malcolm Beinecke spielt, und Tomi Wendt, der Gomez Addams spielt, einen Doppelreihenanzug an. Sie haben beide einen Schnurrbart. Sie haben beide ein Hemd an. Es ist manchmal von der Form her sehr ähnlich, aber es sieht komplett anders aus, weil es ein anderes Muster ist und weil es eine andere Farbe hat. Aber ich finde das auch einen besonders lustigen Moment, wenn sich zwei Männer gegenüberstehen, die eigentlich, wenn man es runterbricht, sehr viele ähnliche Sachen anhaben und vielleicht sogar einen ähnlichen Bart haben und trotzdem denken, sie sind die unterschiedlichsten Menschen überhaupt. Im Verlauf des Stücks finden sie dann heraus, dass sie vielleicht doch mehr Gemeinsamkeiten haben, als sie dachten.

Von links nach rechts: Anne-Elise Minetti als Morticia; Tomi Wendt als Gomez; Jessica Trocha als Wednesday © Christian Schuller

Von links nach rechts: Anne-Elise Minetti als Morticia; Tomi Wendt als Gomez; Jessica Trocha als Wednesday © Christian Schuller

Ich habe das Gefühl, dass Farben eine besondere Bedeutung bekommen können, wenn das allgemeine Farbspektrum sehr gedämpft ist und durch diesen Minimalismus bestimmte Farben eine spezielle Bedeutung bekommen.

Ja klar, natürlich weiß ich, was du meinst: Wenn alles schwarz, silber, weiß und grau ist – dann geht bei dem Gelb die Sonne auf. Aber für Wednesday ist genau das Rebellische in dem Moment. Mit Dingen, die wir als Teenager als Rebellion lesen würden, kann man die Addams Family nicht so schnell schocken. Chaos, ein Feuer entfachen, den kleinen Bruder mit Stromstößen foltern – ist dort alles normal, aber mit einem Kleid in einer bunten Farbe löst man eine Welle von Empörung aus. Ich denke, das spricht natürlich auch davon, dass die Addams mit ihren Standards doch in manchen Sachen anders ticken als die Beineckes.

Zum Schluss: Gibt es für dich ein Fazit, das du aus den unterschiedlichen Darstellungen der Addams-Family, geschlossen hast? Etwas, was du aus ihrem Bild und ihrer Geschichte allgemein mitnimmst?

Was ich wirklich sehr an dieser Familie zu schätzen gelernt habe, ist der Mut, sich eigene Kategorien zu schaffen. Also sozusagen nach seinen eigenen Bedürfnissen zu leben und sich selbst zu sagen, was einen interessiert und was man machen will. Gleichzeitig empfinden sie Liebe füreinander und Loyalität zueinander, welche in sich selbst aber unterschiedlich aussehen kann. Ich habe das Gefühl, da sind die Addams sehr, sehr frei. Jeder und jede ist für sich „verrückt“. Und ich glaube, genauso ist es bei den Beineckes auch.

Wenn man sich die heutige Welt anschaut und manchmal das Gefühl hat, man kann nicht aufeinander zugehen und man kann sich nicht verstehen, dann ist es ein hoffnungsvoller Moment zu denken: Auch, wenn man sehr, sehr unterschiedlich ist – wenn man will, geht‘s dann doch. Das sollten wir uns alle zu Herzen nehmen.  

Schlussendlich sammeln sich die Addams Family und die Beineckes gemeinsam an diesem Tisch und überwinden ihre Schwierigkeiten.

Es wird immer Kraft kosten, aufeinander zuzugehen. Man muss auch mal Dinge aushalten können. Aber dann ist vielleicht auch genau das das Schöne, dass man trotz aller Hindernisse an Ende zueinander finden kann.

Wunderschön gesagt. Vielen Dank für das Interview, Kristin.

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