Faszination Liebestrank
In Donizettis Oper „L’elisir d’amore“ dreht sich alles um ein altbekanntes Motiv: den Liebestrank. Der unglücklich verliebte Nemorino hofft, mit Hilfe eines vermeintlichen Zaubertranks das Herz seiner Angebeteten Adina zu gewinnen. In der Literatur begegnen wir diesem Motiv immer wieder. Shakespeare lässt in seinem „Sommernachtstraum“ einen Trank aus Stiefmütterchen auf die Augen Schlafender träufeln – wer erwacht, verliebt sich in das erste Wesen, das er oder sie sieht. Richard Wagner und Gottfried von Straßburg greifen die keltische Sage um Tristan und Isolde auf, in der ein Liebestrank die beiden auf tragische Weise für immer eint. Und auch in modernen Erzählungen kommen immer wieder Liebestränke vor. So gibt es beispielsweise in „Harry Potter“ den Liebestrank „Amortentia“, der bei Ron Weasley eine tiefe Verbundenheit mit Romilda Vane auslöst.

Ferdinand Keller als Nemorino. Foto: Nils Heck
Die Idee, das Liebe auf diese Weise auslösbar und damit auch manipulierbar ist, scheint uns also zu faszinieren, und das nicht nur medial. Denn auch abseits von Literatur und Bühne sind Liebestränke seit Jahrhunderten in der Kulturgeschichte ein wiederkehrendes Thema. Schon in der Antike glaubte man, Liebe und Begehren mit Hilfe von Tränken lenken zu können. Hier konzentrierte man sich meist auf pflanzliche Inhaltsstoffe: Kräuter wie Eisenkraut, Myrrhe oder Baldrian wurden in Weinen oder Honigwasser aufgelöst und eingenommen. Wie erfolgreich diese Tränke waren, ist allerdings nicht überliefert. Ähnlich wie bei Donizetti dürfte aber zumindest der Alkoholgehalt einiger dieser Tränke Wirkung gezeigt haben. Die alten Griechen und Römer kannten ebenfalls zahlreiche Kräuterweine und pflanzenbasierte Elixiere, die die Sinne berauschen und das Herz öffnen sollten. Hoch im Kurs waren bei ihnen auch Karotten, denn dem Wurzelgemüse wurden lustfördernde Qualitäten zugesprochen. Ganz falsch lagen sie damit möglicherweise nicht, denn Karotten enthalten Porphyrine, die eine Sexualhormonausschüttung anregen sollen. Allerdings finden sich diese vor allem im Karottengrün. Die Azteken wiederum setzten vor allem auf Gebräue aus Kakaobohnen und Gewürzen wie Vanille oder Chilli, denen eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben wurde. Da Kakaobohnen Tryptophan enthalten, was im menschlichen Körper in das Glückshormon Serotonin umgewandelt wird, erzielten diese Gebräue vermutlich zumindest eine aufmunternde Wirkung unter den Liebesuchenden.
Besonders spannend aber wurde es im Mittelalter in Europa, der Hochzeit der Liebestränke. Hier entledigten sich die Liebestränke allmählich ihrer rein pflanzlichen Zutaten und bewegten sich in das Metier der (dunklen) magischen Künste, das oft karnivore Zutaten bevorzugte. In der Öffentlichkeit verpönt, erfreute sich Magie im Geheimen sehr großer Beliebtheit. Waren es zuvor meist wohlschmeckende oder zumindest halbwegs genießbare Zutaten (mit Ausnahme des Baldrians), wurden nun andere Saiten aufgezogen, um das Interesse der angebeteten Person zu erlangen. Zuständig für die Gebräue waren Alchemisten, Heiler*innen und vor allem solche, die als „Hexen“ getauft wurden. Sie brauten ihre Liebestränke aus geheimen Zutaten – viele Rezepte sind also nicht nachzuvollziehen. Einige aber sind überliefert, viele davon allerdings durch Anklageschriften von Hexenprozessen, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei einigen Rezepten schichtweg um böse Nachrede handelt. Dennoch lassen sich gewisse Tendenzen in den überlieferten Rezepten ausmachen. Als Basis für das „Liebeselixir“ wurde weiterhin oft Alkohol benutzt – auch, da Trinkwasser in diesen Zeiten oft nicht genießbar war und sauberes Wasser oft unauffindbar. So wurde ohnehin viel Alkohol konsumiert. Das beliebteste Basiselixir war vermutlich Rotwein, der als Symbol für Blut im biblischen Sinne, aber auch als Symbol der Leidenschaft galt. Die weiteren Zutaten waren allerdings weniger genießbar.

Clarke Ruth als Dulcamara (links); Julia Araújo als Adina (rechts). Foto: Nils Heck
ACHTUNG. Hier kann es für sensible Personen kurz eklig werden.
Ein Rezept sah unter anderem folgendes vor:
- Otternfleisch
- Spinnen
- Fingerkraut
- Das Gehirn eines Säuglings
Ein anderes beinhaltete:
- Die Körperteile ungetaufter Kinder
- Würmer
- Einen Schädel (um den Trank darin zu brauen)
- Hühnerinnereien
Und ein drittes benötigte:
- Das Herz einer Turteltaube
- Die Niere eines Hasen
- Die Leber eines Spatzen
- Den Uterus einer Schwalbe
Neben dem Liebeselixir aus Rotwein war es auch beliebt, die oben genannten Zutaten in kleine Stücke zu schneiden, diese trocknen zu lassen und die getrockneten Stücke anschließend zu Pulver zu stampfen. Dann war ein Aderlass erforderlich. Das gezapfte Blut wurde ebenfalls getrocknet und dann dem Pulver untergemischt. Anschließend konnte das fertige Liebespulver dann in das Essen oder Getränk der anvisierten Liebhaber*innen gemischt werden, zumeist heimlich und ohne deren Konsens. Eine ebenso wichtige Rolle wie die Zutaten spielte auch oft die Beschaffungsweise dieser Zutaten. Diese war oft mit Zaubersprüchen oder Ritualen verbunden und konnte nur von bestimmten Personen durchgeführt werden. So durften bestimmte Wurzeln nur mit der rechten Hand einer schwarz bekleideten „Hexe“ gepflückt werden, wiederum andere nur zu bestimmten Tages- oder Nachtzeiten, und weitere nur bei Vollmond, Sonnenfinsternis oder anderen besonderen planetaren Konstellationen. Viele der Zutaten, die in dieser Zeit genutzt wurden, waren nicht nur ungenießbar, sondern auch giftig.
Auch in der Renaissance braute man noch Liebestränke aus solchen Zutaten. Besonders erfreute sich die Spanische Fliege, ein Käfer, enormer Beliebtheit – zermahlen und mit Kräutern und Flüssigkeit vermischt wurde ihr eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt. Tatsächlich aber enthält der Käfer den Wirkstoff Cantharidin, ein potentes Reizgift, dessen Einnahme je nach Dosierung Blasen auf der Haut, Nekrose, akutes Nierenversagen, eine massive Reizung der Harnwege, Lebervergiftung, Kreislaufkollaps oder den Tod zur Folge haben kann. In geringen Mengen wird es als homöopathisches Mittel noch heute als „Liebestropfen“ verkauft. Berichte aus dem 19. Jahrhundert belegen außerdem, dass in dieser Zeit Nachtschattengewächse für das Brauen von Liebestränken genutzt wurden. So wurde eine Frau verhaftet und verurteilt, nachdem sie ihrem Angebeteten eine Mischung aus indischem Hanf und Stechapfel verabreichte, was bei ihm starkes Unwohlsein auslöste. Auch Absinth galt in dieser Zeit als eine Art moderner Liebestrank, da er starke Bewusstseinsveränderungen hervorrufen konnte. Dies lag nicht nur am Alkoholgehalt, sondern auch am damals noch enthaltenen giftigen Inhaltsstoff Thujon.
Auch wenn Liebestränke seit dem Mittelalter immer mehr an Popularität verloren – unter anderem auch, da wissenschaftliche Erkenntnisse immer mehr der abergläubischen Rezepte entblößten, beschäftigen wir uns heutzutage immer noch mit ihnen. In Finnland gibt es beispielsweise ein traditionelles Gebräu aus Blaubeeren, dass reizfördernd wirken soll. In der Dominikanischen Republik wiederrum erfreut sich „Mama Juana“, einer Mischung aus Rum, Honig und Wein, vermischt mit Baumrinde und Gewürzen, immer noch an Beliebtheit. Auch hat sich das Motiv des Liebestrankes heute in romantisierter Form in die Welt der Duftstoffe und auf wissenschaftlicher oder pseudowissenschaftlicher Ebene in die Welt der Medizin verlagert. Bestimmten Düften, Hormonen oder chemischen Substanzen wird nachgesagt, die zwischenmenschliche bzw. sexuelle Anziehung zu fördern. Die wahre Magie der Liebe bleibt aber wohl weiterhin ein Geheimnis. Der Liebestrank, ob real oder fiktiv, ist letztlich ein Sinnbild für den menschlichen Wunsch, das Unkontrollierbare kontrollierbar zu machen.
Ein Essay von Julia van der Horst.
Was Sie auch interessieren könnte
Ein Portrait über die Regisseurin Anaїs Durand-Mauptit und Bühnen- und Kostümbildnerin Hilke Fomferra von Dramaturgin Lena Plumpe.
Die Autorin der Uraufführung „Gloria“, Hannah Zufall, spricht mit Dramaturg Tim Kahn über die Verbindung von Geruch und Theater und darüber, wie die Nase unser ganzes Zusammenleben prägt.