Eine Geschichte, die nicht alt wird

Mit Georg Büchners „Woyzeck“ eröffnet die neue Spielzeit mit einem musikalischen Abend, der der Rolle der Marie viel Platz einräumt. Die Schauspielerinnen Izabella Radić, Zelal Kapçık und Carolin Weber über ihre Zusammenarbeit, weibliche Lebensentwürfe und große Showeinlagen.


Worum geht es aus eurer Sicht in dem Stück?

Carolin Weber: Woyzeck nimmt, um der Familie das Überleben zu sichern, jeden Job an, den er bekommen kann. Darunter einen als Testperson für eine Erbsen-Diät, die bei ihm Wahnvorstellungen hervorruft. Marie fühlt sich mit dem gemeinsamen Kind alleingelassen und findet keinen Partner mehr in Woyzeck, mit dem sie ihre Lebensfreude und Unternehmungslust teilen kann. Beziehungsstreits eskalieren, Woyzecks Eifersucht (zu Unrecht?) führt zum Trennungsversuch seitens Marie, Woyzeck ersticht (im Wahn?) Marie.

Zelal Kapçık: Das Stück erzählt von der großen Ungleichheit in einer verkorksten Welt, Armut und Reichtum, Macht und Machtlosigkeit, Hoffnung und absolute Verzweiflung. Wir sehen auf der einen Seite Woyzeck, der unter den Regeln und Forderungen des Patriarchats zu ersticken scheint, und daneben Marie als unverheiratete Mutter ohne Status in der Gesellschaft. Es geht um die Frage: Wie kann sich eine Frau inmitten von machthungrigen Männern ein Leben nach ihren Träumen und Wünschen bauen, ohne die dafür nötigen Ressourcen zu haben? "Woyzeck" beschreibt für mich den Überlebenskampf einer Frau voller Lebenslust und Hoffnung. Eine, die begehren, lieben und frei von jeglichen Zwängen als eigenständige Person leben möchte.

Izabella Radić: Aus meiner Sicht geht es um gesellschaftliche Ansprüche und wie diese das Leben prägen. Wenn wir bei dem Beispiel Marie bleiben, wären das Fragen wie: Was ist eine Mutter? Gibt es eine Definition davon, was eine Mutter darf und was nicht? Was passiert mit einer muttergewordenen Frau? Und wieso sollen da Dinge wie Begehren, Sexualität und die Freude am Miteinander (ohne Kind) aufhören? Etwas Grundsätzliches betrifft natürlich auch alle anderen Figuren, sie sollen Dinge erfüllen, die ihnen aufgedrückt werden. Die Frage danach, ob sie tun wollen was sie tun sollen, stellt sich nie.

Jede von euch spielt die Marie, ihr seid meist zu dritt auf der Bühne. Was bedeutet das für die Figur Marie, vor allem in Bezug auf Woyzeck?

IR: Es eröffnet eine unfassbar schöne Welt des weiblichen Miteinanders, ein Gefühl des „nicht allein seins" breitet sich aus. Es ermöglicht das Erzählen verschiedener Emotionen, die zeitgleich stattfinden können, mögen sie auf den ersten Blick noch so widersprüchlich sein. Da werden Sprüche wie „geteiltes Leid ist halbes Leid“ und „Das Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt“ wahr.

CW: Ich spiele die Marie zum zweiten Mal – das passiert gar nicht so häufig, wie man vielleicht denkt – und noch nie habe ich eine Figur dreigeteilt gespielt. Das empfinde ich als große Freiheit. Wir müssen nicht in jedem Moment nur die Logik des Stücks oder der Situation verfolgen, sondern jede Marie kann andere Facetten von Gefühlen oder Reaktionen sichtbar machen. Zudem macht es einfach einen Riesenspaß, zu dritt zu spielen, zu albern und zu singen.

ZK: Die Maries könnten nicht unterschiedlicher sein, aber sie haben alle den Wunsch und die Hoffnung, sich selbst in dieser dreckigen Welt verwirklichen zu können. Und das, ohne das Label „Mutter“, „Tochter“ oder „Frau“ aufgesetzt zu bekommen. Die Kraft, mehrere Maries auf die Bühne zu stellen, liegt darin, dass sich diese miteinander gegen das Patriarchat solidarisieren können. Alleine dass sich nicht allein eine Marie um das Baby kümmern muss, ist eine große Erleichterung. Diese Riesenverantwortung kann sie mit den anderen teilen und sich somit für einen kleinen Moment eine Verschnaufpause gönnen – zumal Woyzeck nichts mit dem Kind zu tun hat, geschweige denn zuhause ist. Für mich erzählt die Vervielfältigung der Marie, dass viele Frauen das gleiche Schicksal teilen können, egal welchen Alters, Aussehens oder Status. Besonders das Ende gewinnt dadurch noch mal an Klarheit: Der Femizid an Marie passiert nicht aufgrund von Handlungen dieser einen bestimmten Marie, er passiert, weil Marie eine Frau ist.

Die Musik von Tom Waits spielt in dem Abend eine große Rolle. Was erwartet uns in der Inszenierung von Amelie von Godin?

CW: Eine richtig gute Show! Wir sind bis zu elf singende, tanzende und spielende Menschen auf der Bühne, dazu eine tolle fünfköpfige Band – wir alle zusammen bringen einen Sound, eine Energie, eine Stimmung über die Rampe, die berührt, mitreißt und begeistert. Büchners „Woyzeck“ ist eine grandiose Vorlage und erschreckend zeitlos – das alles ist sehr gekonnt in Szene gesetzt von Amelie von Godin, mit einem fantastischen Bühnen- und Kostümbild von Kristin Buddenberg. Ich freue mich sehr auf unsere Premiere und die Vorstellungen!

ZK: Das verruchte Leben in "Woyzeck" hat seine Hoch- wie Tiefpunkte, und das ist auch in der Musik und den Liedtexten von Tom Waits und Kathleen Brennan hörbar. Unsere Aufgabe liegt darin, die Balance zwischen Spiel und Ernst, Sex und Tugend, Licht und Dunkelheit, die in der Musik liegt, auch in das Spiel zu tragen. Wir haben enormen Spaß dabei, diese Lieder mit der Band auf die Bühne zu bringen, mal mit großen Showeinlagen, mal direkter und pur. Für mich liegt in der Band, die hinter uns sehr präsent auf der Bühne ist, eine unglaubliche Kraft. Die Musiker sind diejenigen, die die Handlung und Figuren vorantreiben und die Grundlage dafür bieten, das Stück in all seinen Facetten zu zeigen.

IR: Es ist die lustvolle Darstellung einer Geschichte, die nicht alt wird. Ein Abend voller Musik, die manchmal zum Tanz einlädt und manchmal das Salz in der Wunde ist. Ein wundervoll klares Farbenspiel, eine lautstarke Band mit feinsten Klängen, ein heißes Hin und Her an Emotionen, langanhaltende Ohrwürmer und erschreckend wenige Erbsen.

This website is using cookies to provide a good browsing experience

You can decide for yourself which categories you want to allow. Please note that based on your settings, not all functions of the website may be available.

This website is using cookies to provide a good browsing experience

You can decide for yourself which categories you want to allow. Please note that based on your settings, not all functions of the website may be available.

Your cookie preferences have been saved.
This website is using cookies to provide a good browsing experience

You can decide for yourself which categories you want to allow. Please note that based on your settings, not all functions of the website may be available.

This website is using cookies to provide a good browsing experience

You can decide for yourself which categories you want to allow. Please note that based on your settings, not all functions of the website may be available.

Your cookie preferences have been saved.