Auf der Suche nach Verzauberung

Ein Portrait über die Regisseurin Anaїs Durand-Mauptit und Bühnen- und Kostümbildnerin Hilke Fomferra
von Dramaturgin Lena Plumpe

Ausgehend vom Theatermacher Max Reinhardt manifestierte sich in den letzten 100 Jahren in Deutschland das sogenannte Regietheater als vorherrschende Form. Nicht länger galt allein die Autorität des geschriebenen Worts; die Regie trat in den Vordergrund als schöpferische Instanz, die den Text neu befragte, ihn umdeutete, gegen den Strich bürstete. Fortan lag die höchste Entscheidungsgewalt in den Händen einer einzigen Person, deren Vision das Zentrum des künstlerischen Prozesses bildete. Bühne, Kostüm, Schauspiel und Musik traten in ein Geflecht, das nicht mehr primär der/dem Autor*in, sondern der/dem Regisseur*in verpflichtet war. Doch dieses Modell hat sich zu wandeln begonnen. Mehr und mehr stellt sich die Frage, ob die alleinige Hoheit der Regie nicht ein Relikt einer hierarchischen Ordnung ist, die heutigen Vorstellungen von Zusammenarbeit und Teilhabe widerspricht. Dies führt zu mehr kollektiven Strukturen im Großen wie im Kleinen.

Ein Beispiel dafür sind die Regisseurin Anaїs Durand-Mauptit und Bühnen- und Kostümbildnerin Hilke Fomferra. Denn sie arbeiten seit sechs Jahren eng zusammen und feiern diese Spielzeit bereits ihre zehnte gemeinsame Premiere. Durand-Mauptit schätzt die enge Zusammenarbeit mit ihren künstlerischen Partner*innen und sucht fortwährend die Verbindung zwischen der Erzählung und anderen Elementen wie z.B. Musik. Aufgrund ihres Schauspielstudiums in Paris, auf das ein Literatur- und Sprachwissenschaftsstudium in Bonn und ein Regie Studium in Ludwigsburg folgten, ist ihr Ziel in ihren Inszenierungen Humor und Leichtigkeit im Spiel zu finden. Fomferra hat ihr Studium als Kostüm- und Bühnenbildnerin in Hamburg und Straßburg absolviert. Sie möchte in ihrer Arbeit eine klare Ästhetik schaffen, die auch abstrakt und assoziativ sein kann, jedoch keine Mauern baut, sondern Freiräume für die Spielenden mit ihren Kostümen schafft. Mit ihren unterschiedlichen Expertisen begeben sie sich zu Projektbeginn in eine gemeinsame Konzeptionsphase, für die sie sich gerne einige Tage in ein Zimmer einschließen um herauszufinden wie der Text und der Raum zusammen funktionieren können. Aus dem gemeinsamen Konzipieren gehen sie jeweils in ihre Gebiete zurück und widmen sich der Arbeit mit den Spieler*innen und den Kostümen, ohne die Gemeinsamkeit im Schaffensprozess zu verlieren.

Das Stadttheater Gießen war dabei bisher ein beständiger Wegbegleiter. Durand-Mauptit und Fomferra haben gemeinsam „Mädchenschule“, „Einsame Menschen“ und, als Gastspiel, „RIP Refrain“, wo Durand-Mauptit als Performerin zu sehen war, in Gießen gezeigt. Auch wenn es sich dabei um tragische Stoffe gehandelt hat, haben sie den Wunsch auch dort Humor zu finden und trauen sich mit jedem Projekt größer und schräger zu werden. Sie sind auf der Suche nach Verzauberung und „nach Theatermomenten, die Gefühle aufploppen lassen.“

Die Zusammenarbeit entstand auf indirektem Weg: Während ihres Regie Studiums an der Akademie für darstellende Kunst Baden-Württemberg in Ludwigsburg suchte Durand-Mauptit nach einer französischen Bühnenbildnerin für ein Studienprojekt. Fündig wurde sie mit einer Studentin an der Hochschule in Straßburg. Diese schlug vor, Fomferra mit ins Boot zu holen, die zu dieser Zeit zwei Semester an derselben Hochschule absolvierte. Das Trio widmete sich dann „Penthesilea“ von niemand anderem als Heinrich von Kleist. Nun, am Stadttheater Gießen, beschäftigen sie sich auf Wunsch der Regisseurin wieder diesem Autor. Man mag sich wundern, dass Kleist einer der bekannteren deutschen klassischen Dichter in Frankreich ist. Vor allem „Prinz Friedrich von Homburg“ hat eine große Aufführungstradition in Frankreich, begründet durch die Eröffnungsproduktion des Festival d‘Avignon im Jahr 1951 in der Regie von Jean Vilar. Durand-Mauptit fasziniert die Sprache Kleists, die sie als „Korsett“ beschreibt, deren Rätsel es zu knacken gilt.

Bei „Prinz Friedrich von Homburg“ handelt es sich um Kleists letztes Stück, was er nur zwei Jahre vor seinem Suizid verfasste. Er verfolgte das Ziel, den Einfall Napoleons in seine Heimat Preußen zu verurteilen und den Preußenkönig für das Blockieren antinapoleanischer Kräfte zu kritisieren ohne Ansehen am Hof zu verlieren. Das Werk wurde im deutschsprachigen Raum vielfach inszeniert und interpretiert. Der vielleicht größte Gegensatz waren zum einen die Nationalsozialisten, die in dem Prinzen einen Kriegshelden sahen, zum anderen haben Marxisten in dem Drama einen Klassenkampf und den Prinzen als rebellische, widerständische Instanz gelesen.

Durand-Mauptit und Fomferra sehen in der Figur des Prinzen weder einen Helden noch einen Rebellen, eher einen Verlierer des herrschenden Systems. Durand-Mauptit zieht dabei den Vergleich zum Dichter des Dramas. Für Kleist hatten weder sein Militärdienst, sein Studium, der Staatsdienst oder romantische Beziehungen langfristig Bestand. Er konnte sich in der Welt nicht zurechtfinden, war stets auf der Suche nach seiner Erfüllung, was sich in seinen zahlreichen Reisen und Tätigkeiten zeigt. Schließlich war das Leben für ihn nicht mehr aushaltbar, weshalb er sich für den Suizid entschied. Die Hauptfigur in der Interpretation der beiden Künstlerinnen versucht ebenfalls im System zu Bestehen. Auch wenn die Welt zu beben scheint und dadurch die Militarisierung und der Ruf nach Disziplin in Kleists Drama stark mit der heutigen Zeit räsoniert, haben sich Durand-Mauptit und Fomferra dazu entschieden den Abend ästhetisch an die Zeit Kleists anzulehnen und sich der Traumwelt des Prinzen auf der Bühne hinzugeben. Dies alles, ohne dabei die politische Komponente aus dem Blick zu verlieren.

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