Räume für Vertrauen schaffen
Denitsa Stoyanova und Beatrice Panero über die Mitmachangebote am Stadttheater Gießen und die neuen Formate „Shaking“ und „tanz!“
Von Caroline Rohmer
Das Mitmachangebot am Stadttheater Gießen hat sich über die letzten drei Spielzeiten beständig erweitert. Für Menschen jeden Alters gibt es Möglichkeiten, sich spielend, singend oder tanzend auszutoben und dadurch auch einen Blick hinter die Kulissen des Theaters zu erhalten und Anknüpfungspunkte an das Spielplanprogramm zu finden. Die Jüngsten sind 6 Jahre, die sich im Spielclub „Banden bilden“ treffen, und die älteste regelmäßige Teilnehmerin von „Einfach spielen!“ schon über 80. Theaterpädagogin Denitsa Stoyanova muss immer wieder feststellen, dass viele Menschen immer noch nicht wissen, dass es sich um kostenfreie Angebote handelt, und damit unnötige Hürden für manche bestehen, die nicht nachfragen. Dabei sind die Kapazitäten noch lange nicht ausgeschöpft.
Neue Spielzeit, neue Angebote
Mit der neuen Spielzeit kommen zwei neue Formate hinzu: Denitsa Stoyanova führt ihr erprobtes „Shaking“ ein, während Beatrice Panero, Trainings- und Probenleiterin des Tanzensembles, mit „tanz!“ einen Tanzclub für 11- bis 14-Jährige leitet.
Im Gespräch mit den beiden darüber betonen sie, wie wertvoll die Räume sind, die das Mitmachprogramm bietet, um sich kreativ nach den eigenen Bedürfnissen ausleben und verbinden zu können. „Ich glaube, das Theater bietet grundsätzlich für alle Menschen einen Raum, auch und vor allem denjenigen, die nach Offenheit suchen und auch mal Lust haben, aus dem gesellschaftlich angepassten Alltag auszubrechen“, beschreibt Denitsa.
Shake it off!
„Shaking“ ist ein entsprechendes Format dafür. Denitsa konnte es bereits am Theater Eisleben erfolgreich etablieren: „Ich wollte einen Raum schaffen für Menschen, in dem sie sich einfach nur bewegen und frei fühlen können, und dabei zugleich nichts Bestimmtes machen und erfüllen müssen. Ich spiele Musik und die einzige Regel ist, dass wir nicht aufhören, uns irgendwie zu bewegen – sei es den ganzen Körper oder wenigstens den kleinen Finger.“ Es gehe darum, für eine konzentrierte Stunde am frühen Abend auf unterschiedliche Weise aber gemeinsam die Energie im Raum zu teilen und mitzutragen. „Welche Intensität die Menschen reingeben, können sie komplett selbst entscheiden. Ich gebe nichts vor, sondern bewege mich nach meinem eigenen Gefühl, für mich. Ich hatte eine Teilnehmerin [am Theater Eisleben], die hatte sich den Fuß gebrochen und hat sich dann einfach nur mit den Armen und Händen bewegt.“
Das Format sei damals in Eisleben während der Corona-Beschränkungen entstanden, als Clubs geschlossen waren, und es kaum Möglichkeiten gab, in einer Gruppe ausgelassen zu tanzen. „Was so besonders und auch erfolgreich daran war, war die Mischung aus Menschen: Es waren sowohl Leute aus der Stadt dabei, die sonst als Publikum kommen, als auch Kolleg*innen, die am Theater arbeiten – Leute aus der Verwaltung und dem Schauspielensemble. Sie alle hatten einen Tanzdurst, der auch darin bestand, dass man ihn in einer Gruppe stillt, in der man sich nicht unbedingt kennt. Somit wurde das Gefühl des Ausgehens, des Besonderen, erhalten, im Rahmen eines kleinen Afterwork-Formats mit Gruppengrößen von 5 bis 15 Menschen.
Es passt sowohl für diejenigen, die sich im Anschluss an die Arbeit im Büro ausschütteln wollen, als auch für diejenigen, die direkt um 18 Uhr noch auf die Abendprobe gehen. „Ich finde es cool, dass es dabei auch darum geht, sich ein bisschen auf das Unbekannte einzulassen, aber ohne Druck, etwas produzieren zu müssen“, so Denitsa. Sie selbst wird nichts vorgeben, Gespräche werden in dieser Zeit eingestellt – Impulse, wie man den Raum und die gemeinsame Stunde nutzen kann, werden über einen Aushang mitgegeben.
Die Musik, die Denitsa abspielt, wird von Termin zu Termin variieren: „Von 80er-, 90er- und 2000er-Hits bis zu Elektro. Auf jeden Fall ist es immer energetische Musik, ganz nach dem Motto ‚Shaking‘. Und gegen Ende der Stunde gibt es immer ein Lied, in dem es ein Bing-Geräusch gibt, durch das man erkennt, dass es sich dem Ende neigt. Dann folgt noch etwas meditative Musik, bei der man sich beispielsweise dehnen oder einfach zur Ruhe kommen kann.“

Theaterpädagogin Denista Stoyanova im Gespräch mit Beatrice Panero.
Ob „Shaking“ ein Format ist für Leute, die sich beispielsweise bisher nicht trauten, zu „Einfach tanzen!“ zu gehen? Denitsa und Beatrice sind sich sicher, dass sie zwei unterschiedlichen Bedürfnissen entsprechen: „Bei ‚Einfach tanzen!‘ geht es darum, sehr konkret mit Tanztechniken angeleitet zu werden und ein Gefühl für choreografische Zusammenhänge und die Gestaltung zu bekommen“, so Beatrice. Auch bei „Einfach tanzen!“ ist explizit kein Vorwissen Voraussetzung. „Bei ‚Shaking‘ geht es aber dagegen darum, etwas loszulassen und sich frei zu fühlen“, ergänzt Denitsa.
„tanz!“ dich warm
Beatrice Panero leitet ab dem 18. September 2025 den neuen Tanzclub für die Altersgruppe 11 bis 14 Jahre. Er steht unter dem Imperativ „tanz!“, was dazu einlädt, Energie freizusetzen. Im Rahmen der Treffen werden die Teilnehmenden altersgerecht an Techniken des zeitgenössischen Tanzes herangeführt: „Ich werde mit Tanzspielen anfangen, die uns sofort in Bewegung bringen. Von da aus können wir weitergehen mit Improvisationsmethoden. Dabei arbeite ich viel mit Bildern, der Vorstellungskraft aber auch mit der Anatomie. Beispielsweise können wir untersuchen, auf wie viele Weisen wir unsere Arme kreisen lassen können, und dann kommt ein Stück Fantasie dazu: Wir stellen uns vor, dass der Wind kräftig weht, und dass er uns durch den Raum trägt. Für das Tanzen miteinander werde ich Kontaktimprovisation als Methode nutzen, und wir werden die Möglichkeit des Tanzteppichs im Studio nutzen, um auch viel am Boden zu arbeiten – etwas, das beispielsweise im schulischen Sportunterricht in der Form kaum geschieht.“
Es gehe auch darum, die Kinder und Jugendlichen selbst zu fragen, was sie unter zeitgenössischem Tanz verstehen und ihnen Raum zu geben, ihre eigenen Interessen und Themen einzubringen. „Bevor ich einen Plan mache“, so Beatrice, „möchte ich die Gruppe erstmal kennenlernen und sehen, wer eigentlich alles dabei ist, was die einzelnen Menschen mitbringen, was ihre Ideen und Ziele sind. Das Motto, das ich für die künstlerische Arbeit mit der Gruppe vorschlagen werde, ist ‚Jung sein‘: Was bedeutet das heutzutage? Welche Realitäten sind damit verbunden und welche Ansprüche werden an einen gestellt von der Umwelt und den sogenannten ‚Erwachsenen‘? Ich werde dafür auch Impulse aus unserem Abendspielprogramm einbringen. In unserer ersten Premiere diese Spielzeit ‚In the end, I was somehow expected in this world‘ geht es beispielsweise um Einsamkeit. Und das ist ein Thema, das man auch mit diesen jungen Menschen innerhalb ihrer Welten erforschen kann.“
Beatrice hat bereits am Theater Osnabrück als Tänzerin einen Tanzclub für Jugendliche geleitet. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass solche Clubs die Kinder und Jugendlichen zusammenschweißen. Sie verbinden sie auf eine soziale Weise durch die Kunst.“ Es gehe also nicht nur darum, Techniken zu vermitteln und künstlerische Erfahrungen zu ermöglichen, sondern auch, eine Community zu bilden.
Beatrice und Denitsa sehen dabei auch die Möglichkeit, die Spielclubs auch untereinander in Kontakt zu bringen, indem sie sich gegenseitig besuchen. Wenn sie sich gegenseitig zeigen, woran und wie sie miteinander arbeiten, können sie sich auch inspirieren. Am Ende der Spielzeit steht zudem die Möglichkeit im Raum, im Rahmen der Spielclubpräsentationen vor Publikum zu zeigen, was in dem Jahr entstanden ist. „Aber es geht immer darum, worauf die Gruppe Lust hat“, bekräftigt Denitsa. „Wir können eine Aufführung haben, wir müssen keine Aufführung haben. Wichtig ist, dass auch wir als Clubleitung offen bleiben.“ Und Beatrices stimmt zu: „Du musst einen Raum schaffen für Vertrauen. In dem können wir entdecken, was wir jeweils noch nicht wissen, auch ich als Lehrende.“

Trainings- und Probenleiterin von TANZ GIEßEN, Beatrice Panero.
Die Anbindung an das Spielplanprogramm des Theaters ergibt sich in der Arbeit des Spielclubs fast nebenher. Denitsa erzählt, dass sie beispielsweise Szenen aus dem Kinderstück „Honigherz“ – eine Inszenierung für die Allerkleinsten ab 3 Jahren – den Jugendlichen zur Verfügung gestellt hat, um sie von ihnen interpretieren und inszenieren zu lassen. Erst danach gingen sie in eine Probe des Stücks und hatten einen langen und spannenden Austausch darüber. „Und natürlich hatten dann manche auch Lust, das fertige Stück zu sehen. Und manchmal lade ich die Gruppen auch ein, mit mir auf eine Probe oder in eine Vorstellung zu gehen, und es ist schön, dann nicht alleine zu sein und weiter ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Ideen für die Gruppe zu sammeln“, so Denitsa. Die Teilnehmenden der Spielclubs erhalten mit ihrer Clubcard an der Abendkasse vergünstigte Karten für alle Vorstellungen.
Mehr Miteinander
Ich frage, was die Herausforderung ist, Menschen für das Mitmachprogramm zu begeistern. Denitsa glaubt, dass es die Angst davor ist, sich „zum Affen zu machen“, etwas außerhalb der alltäglichen Komfortzone zu tun, durch das man auffällt. „Schon wenn ich in einer Schulklasse eine Aufwärmübung mache, in der man beispielsweise sehr laut lacht, traut sich das oft die Häfte nicht. Da ist so viel Scham. Und deshalb ist das gegenseitige kritische Bewerten etwas, das ich in den Spielclubs auch von Anfang an unterdrücke. Man muss sich trauen dürfen, auch Blödsinn zu machen. Kreativität kann nicht unter Druck und durch Bewertung entstehen.“
Für die Zukunft wünscht sich Denitsa noch mehr integrative Angebote zu schaffen und eine mixed-abled Gruppe mit nicht-behinderten und behinderten Teilnehmenden, auf die Beine zu stellen. Zudem sei auch eine „Senior*innengruppe“ spannend. Toll sei aber zugleich, dass sich in den Gruppen die Generationen durchaus mischen und dadurch unterschiedlichste Erfahrungen und Zugänge zusammenbringen.
Unsere regelmäßigen Mitmachangebote auf einem Blick
Spiel- und Tanzclubs, Anmeldung erforderlich:
Und jetzt, ich!
AB 10 BIS 13 JAHREN
Montags von 16-18 Uhr
Anmeldung: t.kalmbach@stadttheater-giessen.de
Banden bilden!
AB 6 BIS 9 JAHREN
Dienstags von 16-17.30 Uhr
Anmeldung: t.kalmbach@stadttheater-giessen.de
Freiraum
AB 14 JAHREN | INTERGENERATIVES ANGEBOT
Mittwochs von 17-19 Uhr
Anmeldung: d.stoyanova@stadttheater-giessen.de
tanz!
DER TANZCLUB FÜR 11- BIS 14-JÄRHRIGE VON TANZ GIEßEN
Donnerstags 16 - 17:30 Uhr
Anmeldung: junges.theater@stadttheater-giessen.de, Betreff: tanz!
Einfach vorbeikommen:
Einfach spielen!
THEATERSPIELTREFF FÜR ALLE
Donnerstags von 18-19 Uhr
Einfach tanzen!
DAS TANZTRAINING FÜR ALLE | AB 15 JAHREN
Termine einmal monatlich, Dienstags, 19:30 - 20:45 Uhr, siehe Kalender
Einfach singen!
DER CHOR FÜR ALLE
Jeden 1. Dienstag im Monat 19:30-21:00