Funkenflug
Seit Februar ist sie neu im Team: Cennet Alkan. „Stadtvernetzung“ nennt sich ihre Stelle. Klingt trocken und passt so gar nicht zu ihr. Die Bezeichnung. Die Stelle hingegen um so mehr. Denn bereits nach vier Monaten hier in Gießen ist sie mit etlichen Menschen, Gruppen, Einrichtungen im Gespräch. Lebendig, begeisternd, leidenschaftlich und mit einem riesigen Einfühlungsvermögen spricht sie Menschen an, hört zu und versucht herauszufinden, welche Themen und Formate nötig sind, damit sich das Theater täglich neu den Titel Stadttheater verdient.
Ein Porträt von Simone Sterr
Foto: Liliana Capari
Cennet Alkan kommt aus Berlin. Gießen ist für sie kein Dorf. „Small Berlin“ sagt sie liebevoll und meint die Gegenden Richtung Bahnhof und am sogenannten Döner-Dreieck, wo sich Gießen für sie nach Kreuzberg und nach Sonnenallee anfühlt: „Ab und zu hab‘ ich mal Heimweh. Dann gehe ich dahin und es ist sofort besser.“ Außerdem mag sie die vielen jungen Menschen, die unterschiedlichen Herkünfte. „Ich fühl mich gut hier“ sagt sie, mitreißend lachend, und mit dieser einmaligen Fähigkeit Funken zu versprühen, die sofort überspringen.
Die gelernte Schauspielerin hat bereits als Erzieherin gearbeitet, schreibt Texte und war zuletzt Kunstvermittlerin am Gropiusbau in Berlin. Beeindruckend viele unterschiedliche Erfahrungen für eine 36-Jährige. „Ich reite auf mehreren Wellen“ nennt sie das und von jedem Ritt bringt sie etwas mit. Den künstlerischen Ausdruck der Spielerin, die Zugewandtheit der Pädagogin und die Erfahrung in der Kunstvermittlung, Menschen zu etwas mitzunehmen, dem sie erstmal skeptisch gegenüberstehen. All das fließt in ihre Arbeit auf dem Weg zu einem Publikum, in dem sich die Stadtgesellschaft möglichst breit widerspiegelt. Das braucht Zeit und Geduld,unterschiedliche Gruppen in der Stadtgesellschaft müssen angesprochen werden, und vor allem Fragen gestellt bekommen: Was interessiert die Menschen? Welche Geschichten wollen sie erzählen? Was möchten sie erzählt bekommen?
„Am wichtigsten ist Zeit und Aufrichtigkeit. Und dass man es wirklich ernst meint mit den Menschen, die wir erreichen wollen. Erstmal muss man ja verstehen, dass es da eine Person gibt, die sich mit der Stadt auseinandersetzt, das Gespräch sucht, die Möglichkeit bietet, das Theater kennenzulernen.“ Gerade in den Veranstaltungen zum Thema „Erinnerungskultur“ ist sehr viel an Kontakt, Kollaboration, Kommunikation entstanden. Cennet glaubt an die kleinen, intimen Formate, an Lesungen, Gespräche, Konzerte, Filmscreenings – denn die schaffen Begegnung, Austausch, Diskussion. Im Nachklang des Films „Liebe, D-Mark und Tod“ zum Beispiel, oder nach dem Konzert von Ata Canani, die sich beide den sogenannten Gastarbeiter:innen der ersten Stunde gewidmet haben.
All das wird beim nächsten Teegarten am 16. Juli im Foyer des Großen Hauses hoffentlich wieder gelingen, wenn Ozan Zakariya Keskinkılıç sein Buch „Muslimaniac“ vorstellt.
Diese Themen im Großen Haus, in den repräsentativen, traditionellen Räumen des Theaters zu platzieren, gefällt Cennet Alkan, wie ein Ausrufezeichen hinter die Behauptung, „Das Theater gehört allen“.
Nach einem viertel Jahr ist Cennet Alkan schon gut angekommen, hat Freund:innen gefunden, wird nicht müde die Stadt und das Theater zu einem offenen Stadttheater zu verknüpfen, in dem Menschen zusammenkommen, das Brücken baut und Verbindungen schafft.
„Es war eine gute Entscheidung, die Herausforderung anzunehmen und hierher zu kommen. Gießen ist meine Challenge“ sagt Cennet, und wieder scheint es zu funken …