Parodie, Nostalgie und der Zauber des Moments

Am 8. November haben John Cages „Europeras 3 & 4“ im Kleinen Haus Premiere. Was verbirgt sich hinter dem eigenwilligen Titel? Zwei Musiktheater – aber keine Gewöhnlichen!


 „Neue Musik: neues Hören. Nicht der Versuch, etwas zu verstehen, was gesagt wird. Nur eine Aufmerksamkeit für die Aktivität der Klänge.“ So beschrieb der Komponist John Cage einmal seine Vorstellung von Musik. Mit anderen Worten: Es geht in seiner Musik nicht darum, etwas zum Ausdruck zu bringen. Was zählt, ist der Moment der Aufführung und das, was in diesem Augenblick an Sinneseindrücken zusammenkommt. Und weil das sowieso nur begrenzt zu kontrollieren ist, arbeitet er gerne mit zufallsgesteuerten Elementen.

Seine „Europeras“ sind das Gegenteil eines Gesamtkunstwerks: Licht, Bewegungen, Kostüme und Klänge unterstützen sich nicht gegenseitig im Ausdruck, sondern sie werden unabhängig voneinander festlegt. Alle Mitwirkenden folgen ihrem eigenen Ablaufplan, der mit Hilfe von Zufallsoperationen zusammengestellt wurde und in jeder Aufführung anders ist.

Dabei verwenden „Europeras“ ausschließlich bereits vorhandene Musik aus Opern des 17., 18. und 19. Jahrhunderts: Arien-Aufnahmen vergangener Zeiten erklingen vom Plattenspieler, Sängerinnen und Sänger singen auf der Bühne Ausschnitte aus Arien aus ihrem Repertoire, am Klavier erklingen Passagen aus Opern-Phantasien von Franz Liszt, eine Tonband-Collage wird ein- und wieder ausgeblendet. Nichts passt zueinander, nichts bezieht sich aufeinander. In den 1987 für die Oper Frankfurt geschriebenen „Europeras 1 & 2“ gehört auch noch ein Orchester dazu, in dem alle Beteiligen aus Orchesterstimmen aus Opern von Gluck bis Puccini spielten – aber jedes Instrument andere Passagen! Für den Nachfolgeabend „Europeras 3 & 4“ (Uraufführung 1990 in London) entschied sich Cage für eine reduzierte Instrumentation, und doch sind die sich überlagernden Eindrücke in „Europera 3“ dicht und vielfältig, während „Europera 4“ durch eine Reduktion der Mittel kammerspiel-artig wirkt.

Viele Besucherinnen und Besucher der Uraufführung konnten nicht anders, als in der zufälligen Zusammenstellung eine Opernparodie zu erkennen. Spielen die unmotivierten Aktionen und Klänge nicht darauf an, wie unlogisch und absurd es in der Oper oft zugeht? Der Titel „Europeras“, der auch als „Your Operas“ ausgesprochen werden kann, verweist außerdem auf eine Distanz des Amerikaners zu den italienischen, deutschen oder französischen Opern, die das Material dieses Abends bilden. Und natürlich entstehen bei den zufälligen Konstellationen von Text, Musik und Bühnenaktionen auch ungeplante komische Situationen.

Doch bei allem Humor geht es Cage nicht darum, die Oper als Gattung lächerlich zu machen. Es geht ihm auch nicht darum, sie zu feiern. Er enthält sich jeder Wertung: „Unsere Situation als Künstler ist die, dass wir all diese Werke haben, die bereits vor unserer Zeit entstanden sind. Wir haben die Möglichkeit, jetzt zu arbeiten. Ich würde die Dinge aus der Vergangenheit nicht präsentieren, aber ich würde sie als Material betrachten, das für etwas anderes zur Verfügung steht, das wir jetzt machen wollen. Sie könnten, im Sinne einer Collage, in jedes Stück einfließen. Lassen Sie mich Ihnen erklären, warum ich die Literatur der Vergangenheit als Material und nicht als Kunst betrachte: Es gibt eine Menge Leute, die die Vergangenheit als Museum betrachten und ihr treu bleiben wollen, aber das ist nicht meine Herangehensweise. Als Material kann sie mit anderen Dingen zusammengefügt werden.“

Die passende Einstellung im Publikum ist die, nichts zu erwarten und offen zu sein für das, was in der jeweiligen Aufführung in jedem Moment zu hören, sehen und fühlen ist. Und doch entkommen auch die „Europeras“ dem menschlichen Bedürfnis nach Sinn nicht ganz. Anders als bei den groß besetzen, zur Absurdität neigenden „Europeras 1 & 2“ verweist insbesondere das intime „Europeras 4“ auf eine verlorene Vergangenheit. Der bei der Uraufführung 78-jährige Komponist lässt keine Musik von Pierre Boulez oder Hans-Werner Henze auflegen, sondern knisternde Aufnahmen der Stimmen bereits verstorbener Sängerinnen und Sänger. Ein Ausdruck von Nostalgie oder Abschied? John Cage würde das von sich weisen.


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