Ein Fremder halt

„Der Richtige“ kommt nicht aus Wien. Arabella erkennt ihn schon von Weitem als „einen Fremden halt aus Ungarn oder aus der Wallachei“. Auch Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal waren sich anfangs nicht über Mandrykas Herkunft sicher und schwankten zwischen Ungarn und Bosnien, bevor sie sich für Slawonien, den östlichen Teil des heutigen Kroatiens entschieden – wobei gewisse Inkonsistenzen erhalten blieben. Entscheidend war für sie: Er kommt aus der östlichen Peripherie des Kaiserreichs.

Mandryka ist bereits äußerlich als Fremder gezeichnet („etwas undefinierbar Ländliches in der Erscheinung“, besagt die Regieanweisung), er spricht und benimmt sich anders als die Wiener und bringt auch einen anderen musikalischen Rhythmus mit. „Ihn umgibt die Reinheit seiner Dörfer, seiner nie von der Axt berührten Eichenwälder, seiner alten Volkslieder. Hier tritt die Weite des großen halb-slawischen Österreich herein in einer Wienerische Komödie und lässt eine ganz andere Luft einströmen“, beschrieb es der Textdichter in einem Brief an seinen Arbeitspartner. Fast bis zur Karikatur treibt Hofmannsthal die Figurenzeichnung des Naturburschen: Mandryka berichtet tatsächlich, dass er kurz nach Erhalt des Briefes, der ihn auf Arabella aufmerksam machte, von einer Bärin im Wald angegriffen wurde! Durch die Verletzungen ist der Brief ein wenig blutig geworden – das kann an der Ostgrenze des Reichs schon einmal passieren.

Trotz einer gewissen Unschärfe des Herkunftsorts wurde Kroatien während der weiteren Arbeit zu einem festen Bezugspunkt für die Komposition. Strauss zitiert mehrere kroatische Volkslieder, insbesondere im Duett zwischen Zdenka und Arabella im 1. Akt, in dem Arabella den ihr noch unbekannten „Richtigen“ beschreibt. Diese Melodie durchzieht die ganze Oper leitmotivisch. Auch im Verlobungsduett zwischen Arabella und Mandryka erklingt ein kroatisches Volkslied. Es sind ruhige Melodien, die sich schon durch das langsamere Tempo vom schnellen Walzer der Wiener Gesellschaft abheben. In Mandrykas Eifersuchtsanfall kehren die Verhältnisse sich vorübergehend um: Nun animiert er die Ballgesellschaft mit Walzerrhythmen und einer verzerrten Version des Verlobungsduetts zu immer zügelloserem Benehmen und verliert nicht nur seine Souveränität, sondern später auch Arabellas Respekt.

„Bei mir geht alles langsam, aber stark“, beschreibt Mandryka sich selbst. Als ruhiger, ehrlicher, kräftiger und entschiedener Mann vom Lande ist er das literarische und musikalische Gegenbild des spielsüchtigen Vaters, der abergläubischen Mutter, der dekadenten Wiener Grafen, der vergnügungssüchtigen Ballgesellschaft und des labilen Matteos, von dem Arabella meint: „Er ist kein ganzer Mann. Ich könnt mich halt vor ihm nicht fürchten. Wer das nicht ist, der hat bei mir verspielt!“ Dem „richtigen“, furchteinflößenden Mann aber möchte die selbstbewusste Arabella sich dann auch vollständig unterwerfen: „… und selig werd ich sein und ihm gehorsam wie ein Kind.“

Unverkennbar sind die zeittypischen Geschlechtervorstellungen vom durchsetzungsstarken Mann und der hingebungswilligen Frau, aber auch die persönlichen Beziehungsideale Hofmannsthals in solchen Aussagen. Doch haben wir es hier mit symbolisch aufgeladenen Kunstfiguren zu tun, die sich nur vor dem Hintergrund der untergegangenen Habsburger Monarchie vollständig verstehen lassen: Im Rückblick entwarf Hofmannsthal in den 1920er Jahren ein Bild der frühen Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph I., in dem der Untergang des Reichs bereits spürbar, der Vielvölkerstaat insbesondere an seinen östlichen Rändern aber noch intakt war. Nicht als historische Analyse, sondern als literarische Überhöhung, in der die Wiener Gesellschaft für Dekadenz, die slawische Landbevölkerung hingegen für moralische Integrität und Stabilität steht. Die Entscheidung Arabellas für einen Ehemann wird damit zu einer Entscheidung zwischen den beiden Polen, und Arabellas Zögern zu Beginn der Oper offenbart sich als das Grauen vor dem bereits maroden Wien: „Was ist denn das, mir ist ja, wie wenn eine Angst mich überfiele – und eine Sehnsucht ja, nach was denn auf der Welt?“

von Ann-Christine Mecke

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